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Oldtimer-Porträt: Travel Air 4000

Die NC 8877 gehört zu den Juwelen der Antique-Aeroflyers in Mengen – nur drei Exemplare dieses Typs gibt es in Europa. Als Postflugzeug war sie schon Anfang der dreißiger Jahre im Einsatz

Von Redaktion
Oldtimer-Porträt: Travel Air 4000

Regionalflugplatz Mengen, Oktober 2015. Flughöhe: 3000 Fuß über Grund. „Nimm das Seitenruder mit!“ höre ich einmal mehr via Intercom. Ja, ja … Alois Bader, dem PIC im hinteren Cockpit, entgeht nichts von dem, was ich da vorne so mache. An Bord der NC 8877 darf ganz schön gearbeitet werden. Wer herzhaft zupacken und in die Pedale treten kann, ist hier richtig. Doch an der Ruderabstimmung gibt’s nichts zu mäkeln. Der Knüppelweg ist zwar lang, aber die „elephant ears“ an den mächtigen Querrudern helfen, den Ruderdruck nicht zu sportlich werden zu lassen. Diese charaktervollen, über die Randbögen ragenden Ausgleichsflächen markieren eine seltene Modellvariante. Eine berauschende Rollrate ist trotzdem nicht zu erwarten. Aber für Kunstflug wurde die Travel Air 4000 ja auch nicht gebaut, damals, 1929. Auf dem Rumpf signalisieren dicke Buchstaben ihre ursprüngliche Verwendung: „AIR MAIL“.

Keine Maschine hätte besser gepasst, um für die „Die Grüne Post“ zu werben, eine just zur selben Zeit in Deutschland herausgekommene Sonntagszeitung fürs Landvolk. In den USA transportierte die Travel Air einst Postsäcke oder zwei Passagiere im vorderen Cockpit. Auch fürs Versprühen von Pflanzenschutzmitteln brauchte man den robusten Doppeldecker bis in die fünfziger Jahre hinein. Dann war ein 300 PS starker Lycoming-Sternmotor eingebaut. Die schlichte Lackierung der NC 8877 nimmt freilich Bezug auf die gloriose Postflieger-Zeit der frühen dreißiger Jahre. Davon künden auch die beiden tütenförmigen Landelichter an den äußeren Flächenstielen – hochriskante Nachtflüge mussten sein, wollte man im straffen Zeitplan bleiben. Ein erhalten gebliebenes Bordbuch aus dem Jahr 1931 lässt die aufregende Jugend des Doppeldeckers erahnen. Damals pendelte er hauptsächlich die kalifornische Küste rauf und runter.

„Wer herzhaft zupacken und in die Pedale treten kann, der ist hier richtig“

Als die staatliche US-Postfliegerei Mitte der zwanziger Jahre privatisiert wurde, vergab die Regierung Lizenzen und Routen an etliche Firmen. Und so war die NC 8877 auf der Contracted Airmail Route 8 (C.A.M.8) unterwegs, mit Basis in Crissy Field, einem längst verschwundenen Flugfeld in San Francisco. Mit ihren 86 Jahren zählt die NC 8877 zu den ältesten Motorflugzeugen, die man am Himmel sieht, nicht nur in Deutschland. Sie hat immer noch ihre uralte US-Zulassung. „Das erleichtert den Betrieb doch sehr“, sagt Miteigentümer Alois Bader. 50 bis 55 Exemplare desselben Musters – in verschiedenen Ausführungen und mit unterschiedlichen Motoren – sollen weltweit noch fliegen. Weitere stehen in Museen. Rund 1450 sind wohl insgesamt gebaut worden. In Europa gibt es lediglich zwei andere „4000“, eine in Großbritannien und eine in der Schweiz.

Rat und Hilfe bekommen Travel-Air-Besitzer von der Travel Air Restorers Association (TARA) in San Jose, Kalifornien. Wenn der „fliegende Postbote“ heute bewegt wird, dann oft in Begleitung anderer namhafter Klassiker aus Mengen, etwa der Ryan STA Special von 1937, der Morane-Saulnier M.S.317 (1938) und der Curtiss Robin, die genauso alt ist wie die Travel Air. Oldie-Kenner wissen spätestens jetzt, dass sie es mit den Antique-Aeroflyers zu tun haben, einem Freundeskreis, der sich mit seinen Flugapparaten im eigenen Hangar auf dem ehemaligen Militärflugplatz eingenistet hat. Neben Alois Bader gehören Uschi und Günther Kälberer sowie Walter Klocker zu den Antique-Aeroflyers. Gemeinsam favorisiert man das „Goldene Zeitalter“ der Fliegerei, das Ende des Ersten Weltkriegs begann und mit Ausbruch des Zweiten endete. Rekorde, Rennen und Erstleistungen begeisterten die Massen, Fluglinien wurden gegründet, Routen erschlossen, Firmen entstanden und verschwanden wieder.

Arbeitsgerät: Post, Passagiere oder Pflanzenschutzmittel – die „4000“ sollte immer gewinnbringende Zuladung tragen

Die Travel Air 4000 mit der Werknummer 913 verkörpert diese Epoche par excellence. 1925 hatten drei große Namen der US-Luftfahrt ihre Fähigkeiten gebündelt und die Travel Air Manufacturing Company in Wichita, Kansas, gegründet: Walter Beech, Clyde Cessna und Lloyd Stearman. Im Krisenjahr 1929 wurde das ehrgeizige Unternehmen von der potenteren Curtiss-Wright Corporation geschluckt, die Produktion der Travel Air 4000 aber fortgesetzt, nun unter der Typenbezeichnung CW-14. Die NC 8877 ist eine der letzten „4000“, die noch bei Travel Air entstanden. Bis 2010 hieß ihr Besitzer Lonnie Autry. Wenige Jahre zuvor hatte Günther Kälberer den Amerikaner auf dem Flugplatz Frazier Lake kennen gelernt, in einer Flying Community südlich von San Francisco. Der Deutsche hat lange als Fluglehrer der Bundesluftwaffe in Phoenix, Arizona, gearbeitet; er kennt die US-Oldie-Szene ziemlich gut.

Ein Bekannter brachte ihn mit Lonnie und Josie Autry zusammen. Das Ehepaar hatte die Travel Air in Eigenleistung restauriert. Als ehemaliger Airline-Mechaniker besitzt Lonnie eine Prüferlizenz. Es war also ein Fachmann am Werk. Dennoch gingen für das Projekt „4000“ zwölf Jahre drauf. Angesichts des Baujahrs der Maschineverwundert niemanden, dass mit den Holzteilen nicht mehr viel anzufangen war. Die hölzernen Flügel mussten praktisch neu gebaut werden, als Bespannmaterial wich Baumwolle dem dauerhafteren Ceconite. Der Stahlrohrrumpf hat sich dagegen wacker gehalten. 1996 kam der jetzige Wright-Sternmotor rein. Ein vergilbtes Foto zeigt die NC 8877 noch mit antikem Schleifsporn und dem ursprünglichen Triebwerk: einem wassergekühlten Curtiss OX-5-Reihenmotor, der schon damals als technisch überholt galt.

In den USA flog die Travel Air auf der Contracted Airmail Route 8, in Deutschland wird sie nur zum Spaß bewegt

Der kräftigere, luftgekühlte Wright J6-7, der seine Zylinder weitgehend unverhüllt ins Freie streckt, schöpft 235 PS aus stattlichen 13 Litern Hubraum. Amerikaner vergeben gern Auszeichnungen für ihre am besten restaurierten historischen Flugzeuge. 1997 wurde die Travel Air entsprechend gewürdigt: Die EAA verlieh ihr den Titel „Grand Champion“. Und Günther Kälberer wollte den Champion haben! Als Lonnie Autry beschloss, sich aus gesundheitlichen Gründen von dem honorigen Postboten zu trennen, war Günther schnell alarmiert. Er wusste, in welch prächtigem Zustand sich die „4000“ befand. Respektvoll sagt er über Autry: „Der hat seine Sache wirklich gut gemacht.“ Ein paar Monate später war Günther wieder in Frazier Lake und hatte seinen Kollegen Alois Bader mitgebracht. „Lonnie wollte genau wissen, wo sein Flieger hingeht“, so Alois.

Darum hatte Günther die schönsten Fotos vom eindrucksvollen Antique-Aeroflyers-Hangar mitgebracht. Schließlich wurde der Deal eingetütet. Den dritten Anteil erwarb M.S.317-Pilot Walter Klocker, und so ging der US-Klassiker über den Teich. Dem Vernehmen nach sollen die Autrys gar nicht so unglücklich sein über die räumliche Distanz. Lonnie hätte es nicht ertragen können, sagte er einmal, bei Oldie-Treffen seine Travel Air wieder zu sehen. Im Oktober 2010 wurde der Doppeldecker von Frazier Lake nach Oakland geflogen, dort zerlegt und sorgfältig verfrachtet. Mitte Dezember 2010 begannen die Neubesitzer mit dem Montieren ihrer Travel Air. Wie so oft in solchen Fällen, wurde die To-do-Liste immer länger. Das übergroße Panel musste auf die ursprüngliche Größe schrumpfen, hauptsächlich, damit der Knüppel in Originallänge wieder darunter durchpasste.

Hoch die Travel-Air-Tassen! Antique-Aeroflyers Alois Bader, Günther Kälberer, Walter Klocker (von links)

Viele Instrumente sind original, die moderne Avionik ist unauffällig untergebracht. Bei Bruntons in Schottland wurde ein Satz neuer profilierter Spanndrähte geordert. Um die Tragflächen exakt einstellen zu können, nahm man ein Nivelliergerät mit Laser zu Hilfe. All das dauerte Monate. Lohn der Mühe: Das Einfliegen im Mai 2011 war kein Problem. Ihren ersten großen Auftritt hierzulande hatte die Mengener Travel Air beim Oldtimer-Fliegertreffen 2011 auf der Hahnweide. Das wuchtige Fluggerät auf seinen mehr als kniehohen Reifen war ein reizvoller Neuzugang in der deutschen Oldieszene, auch weil damit eine historische Verbindung zur längst verblichenen US-Pionierfirma Travel Air hergestellt wurde. Mitterweile hat die NC 8877 unter den heutigen Besitzern rund 100 Stunden abgebrummt und etliche Flugtage und Air Shows in Deutschland bereichert. Manchmal darf auch ein Mitflieger an Bord. So wie heute.

Eine kleine Seitentür, links, erleichtert Passagieren den Einstieg. Für eine Person ist vorn reichlich Platz. Als Sprühflieger hatte die Travel Air zwischen Triebwerk und Pilot einen voluminösen Tank. Jetzt darf man sich hier auf knautschiges Leder niederlassen. Das Anlassritual ist typisch für einen Sternmotor: Von Hand wird der Propeller durchgedreht, mindestens acht Blätter, um das Öl aus den unteren Zylindern zu quetschen. E-Starter drücken und ein „Schluck aus der Pulle“, also kräftig einspritzen – qualmend kommt das Aggregat in Gang. Ein Schwall blau-grauer Abgase und der Geruch halbverbrannten Öls füllt meine Kabine. Es dauert, bis der Propellerstrahl alles wieder nach draußen gesaugt hat. Noch deutlich länger dauert es, um 16 Liter Öl bei 800 bis 900 Umdrehungen pro Minute und herbstlicher Witterung auf Betriebstemperatur zu bringen: 20 Minuten.

Kunstflug nein danke! „Ohren“ an den Querrudern erhöhen deren Wirkung – die Rollrate ist dennoch eher unsportlich

„Diesmal war’s nicht viel“, wird Alois später über die Flugsaison 2015 sagen. „Wir sind bei der Klassikwelt Bodensee geflogen und haben kleine, nette Flugtage besucht. Die Hahnweide hat uns schon sehr gefehlt. Rund zehn Flugstunden dürften es heuer gewesen sein.“ Der 55-Jährige ist seit 1980 Privatpilot und erst mit Erwerb der Travel Air in die Spornrad-Fliegerei eingestiegen. Als Waffensystemoffizier hat er in der Phantom und im Tornado gedient, später bei Airbus gearbeitet. In Tannheim gab’s die „Grundausbildung“ auf einer Super Decathlon. Den Feinschliff auf dem US-Doppeldecker verpasste ihm Ex-Fluglehrer Kälberer. Inzwischen sind 40 Grad Öltemperatur erreicht – es kann losgehen. Unter Einsatz der Trommelbremsen schaukelt und ruckelt der Veteran auf dem Rollweg zur Piste 08. Wir starten auf Gras. Schon nach rund 150 Metern springt der Postflieger in die Luft und steigt mit ordentlichen 700 bis 800 Fuß pro Minute.

Dabei ragen die Randbögen steil nach oben. Man spürt, wie viel Zuladung dieses Arbeitstier vertragen würde. Auch das erhoffte Zeitmaschinen-Gefühl stellt sich sofort ein: zurück in die dreißiger Jahre – wäre da nicht das Feld mit Hunderten von Photovoltaik-Kacheln gleich neben dem Flugplatz. In Sicherheitshöhe zirkelt Alois ein paar Kurven, linksrum, rechtsrum, mal steiler, mal flacher, all das bei moderaten 80 Meilen pro Stunde und zurückgenommenen 1650 rpm. Das brave Flügelprofil erträgt auch Schräglagen, bei denen der Anstellwinkel deutlich erhöht werden muss. Als Passagier staunt man derweil über die akustischen Vorzüge eines historischen Sternmotors mit niedriger Verdichtung. Der Wright wummert so vertrauenswürdig, als könnte er ewig laufen! Pro Stunde nuckelt das sieben Jahrzehnte alte Triebwerk rund 50 Liter aus den beiden Tanks im Rumpf und Mittelstück der oberen Tragfläche.

Erwacht: Nach langer Standzeit springt der Wright-Sternmotor qualmend an

Wer vorne sitzt, blickt auf ein weitgehend leeres Holzpanel. Zu den Seiten geht der Blick über Streben und vibrierende Spanndrähte hinweg, zwischen denen die herbstlich gefärbte Landschaft hindurchzittert. Vor der ölbespritzten Windschutzscheibe ragt die Benzinstandsanzeige empor. Der Horizont streicht sauber daran vorbei, sofern man Knüppel und Pedale in Einklang zu bringen vermag und mit dem Querruder etwas abstützt, wenn’s steiler wird. Der Strömungsabriss, mit und ohne Leistung, kommt etwas plötzlich, aber ohne viel Höhenverlust. Die Tragflächen, ganze 23 Quadratmeter, erfüllen schnell wieder ihren Zweck. „In der Luft problemlos, aber die Landung …“ – Alois’ Charakterisierung der Travel Air hat bestimmt nicht nur mit der miserablen Flugsicht zu tun, sondern auch mit dem Abreißverhalten. Der PIC übernimmt, ich bin gespannt.

Er reduziert auf 1500, 1300 und schließlich 1050 rpm im Endanflug zur „08 Gras“. Mit ein wenig Schleppgas geht’s zügig bergab. Kurzes Ausschweben, Bodenkontakt mit mageren 55 Meilen pro Stunde. Es darf gezogen werden, und zwar voll! Wir machen einen Sprung. Sei’s drum. Gas rein. Sofort sind Leistung und Fahrt wieder da für die nächste Runde um Mengen. Nach der dritten Landung lässt es Alois gut sein. Etwas mehr als 200 Meter Rollstrecke, und wir verlassen die Bahn. Die Bremsen sind schwer zu dosieren. Merke: Nicht bremsen – ausrollen lassen! Vor dem Einhallen zeigt sich, dass es die „grüne Post“ bisweilen an Stubenreinheit vermissen lässt: Öl sippt über Cowling, Fahrwerk und Nasenkante. Sogar die Spanndrähte haben etwas abbekommen, und auch die vordere Windschutzscheibe könnte einen Lappen vertragen. Doch die Putzaktion wertet das Erlebnis nur noch auf – als zünftige Zugabe auf einen prächtigen Herbstflug.

Text: Stefan Bartmann; Fotos: Andreas Haller; fliegermagazin 1/2016

Technische Daten
Travel Air 4000
  • NC 8877
  • Walter Beech, Travel Air Company, Wichita, USA
  • 1929
  • 10,37 m
  • 23 qm
  • 7,17 m
  • 2,78 m
  • 804 kg
  • 1193 kg
  • 250 l
  • Wright J6-7/ 235 PS bei 1750 rpm
  • Hamilton, 2-Blatt, Metall, 2,40 m
  • 150 m
  • 700 – 800 ft/min
  • 12 000 ft
  • ca. 4,5 h
  • ca. 960 km
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