Oldtimer-Porträt: Lockheed Vega
Geschmeidige Linien, keine Streben, keine Spanndrähte: 1927 war die Lockheed Vega ein revolutionäres Design, das als erstes eine Ahnung davon gab, wie schneller Linienverkehr aussehen könnte. Heute fliegt noch ein einziges Exemplar
Piloten sind solche Sachen wichtig: Nach 18 Jahren Restaurierung brachte der US-Amerikaner John Magoffin seine Lockheed Vega am 17. Dezember 2013 exakt um 11 Uhr erstmals wieder in die Luft. Na klar: exakt 110 Jahre nach dem ersten kontrollierten Motorflug der Gebrüder Wright. Die Maschine hat einen solch besonderen Anlass durchaus verdient: Sie ist die einzige ihrer Art, die noch fliegt – und Vertreterin eines Typs mit großer Bedeutung für die Luftfahrt und einem prominenten Platz in der Geschichte. Als das Muster 1927 auf den Markt kam, war es ganz anders als das, was die Menschen sich unter einem Flugzeug vorstellten: nur ein Flügel, keinerlei Streben, keine Spanndrähte – stattdessen eine stromlinienförmige Torpedoform. Die Designvorgabe für das erste Flugzeug einer jungen, damals noch unbekannten Firma namens Lockheed Corporation war klar: große Reichweite, hohe Geschwindigkeit, viel Zuladung.
So wollte man auf dem gerade entstehenden Markt des Linienverkehrs einen Erfolg landen. Natürlich ist der Name Lockheed inzwischen nicht mehr aus der Luftfahrt wegzudenken. Gleiches gilt für die damals noch unbekannten Konstrukteure der Vega: Zwei junge Ingenieure namens John Northrop und Gerard Vultee bekamen die Aufgabe, irgendwie ohne Streben und Drähte auszukommen – und sie setzten dabei neue Standards im Flugzeugbau. Den schlanken Monocoque-Rumpf ihrer Vega bauten sie aus Sperrholz-Platten auf, die ihre Rundung in Negativformen erhielten und dann auf einem Holzrahmen verleimt wurden. Die Holzhaut des Rumpfs trägt einen Großteil der Last, sodass der Innenraum nicht zu sehr mit Strukturelementen verbaut ist und außen alles aerodynamisch sauber bleibt. Bis zu sechs Passagiere finden in der Kabine Platz. Ebenso neu war der freitragende Flügel mit einer Spannweite von 12,50 Metern, dessen durchgehender Hauptholm aus einem einzigen Douglastannen-Stamm geschnitten wurde.
„Am Boden will die Maschine überall hinrollen – nur nicht geradeaus“ – John Magoffin, Vega-Eigner und Linienpilot
Den Flügel setzten die Konstrukteure oben aufs Rumpfdach, sodass er den Innenraum nicht einschränkt. Das Cockpit fand in der dicken Flügelnase Platz – mit dem Ergebnis, dass der allein und sehr hoch sitzende Pilot der Spornradmaschine zwar am Boden recht gut nach vorne sehen kann, zur Seite aber nur durch schmaleSchlitze nach schräg unten blickt. Die Vega wurde mitten in die Zeit der großen Aviatik-Rekordjagd geboren – und kam genau richtig: Amelia Earhart überquerte mit einer Vega solo den Atlantik. Zweimal umrundete Wiley Post mit seiner „Winnie Mae“ die Welt. 72 Rekorde werden dem Muster zugeschrieben. Im Airline-Betrieb vermittelt die Vega dank ihrer im Vergleich zu den anderen Flugzeugen ihrer Zeit hohen Geschwindigkeit einen Eindruck davon, wie schnelles Luftreisen aussehen kann. Alles in allem wurden 128 Vegas in verschiedenen Varianten gebaut.
Nur neun davon erhielten einen Rumpf aus Aluminium – die von John Magoffin ist eine davon. „Sonst wäre sie vermutlich längst verrottet“, sagt der Amerikaner. 1929 übernahm die Detroit Aircraft Company die Mehrheit der Anteile an Lockheed. Damals begann sich der Vorläufer der Air Force, das U.S. Army Air Corps (USAAC), für Metallflugzeuge zu interessieren. Also konstruierte die Firma den Rumpf der Vega in der gleichen Form und Größe aus Aluminium statt Holz. „Ich glaube, Lockheed hat die Vega genutzt, um sich in die Technik der Metallbauweise einzuarbeiten. Man kann einige Details und Kniffe erkennen, die sich auch bei späteren Lockheed-Modellen wie der Electra wiederfinden“, sagt Magoffin. Das Militär übernahm zwei Flugzeuge mit Metallrumpf zur Erprobung – das erste einer langen und bis heute reichenden Reihe von Lockheed-Mustern, die bei den US-Streitkräften flogen und fliegen.
Mit ihren rund 265 km/h Reisegeschwindigkeit gehörten sie zum Schnellsten, was das USAAC damals zu bieten hatte. Magoffins Vega gehört zu den letzten gebauten, sie wurde im März 1933 fertig. Da war die Glanzzeit der Vega bereits vorüber. Eine Großschlachterei namens Morell Meat Packing Company in Ottumwa, Iowa, war erster Betreiber der Maschine: Als „Morrell Pride II“ wurde sie offenbar zum Geschäftsreiseflugzeug. Es folgten etliche Besitzerwechsel; auch die legendäre US-Airline Braniff nutze die Maschine mit ihren sechs Passagiersitzen. Schließlich kam sie nach Alaska, wo sie beim Bau des Alcan Highways Transportdienste leistete. Modifikationen bleiben bei einer so alten Maschine nicht aus: 1946 wurde der Vega ein leichterer Sternmotor verpasst, der Pratt & Whitney R-985 Wasp Junior ersetzte den originalen R-1340 Wasp – beide leisten 450 PS.
Dann diente die Maschine bei verschiedenen Airlines als Buschflugzeug in der nördlichen Wildnis. Damals war das Muster in Alaska nicht nur auf Rädern im Einsatz, sondern auch auf Schwimmern und Ski. Doch die Buschfliegerei hat ihre Risiken: 1957 endete die vorerst letzte Landung der Vega mit der Seriennummer 161 mit einem Crash neben der Piste von Ruby, Alaska. Wie erfährt jemand, der auf einer Ranch in Arizona aufwächst und heute als Linienpilot arbeitet, von so einer Maschine? „Als junger Mann hatte ich 1977 meinen ersten Job als Pilot in Alaska. Ich kannte fast alle Wracks da oben, denn meine erfahreneren Kollegen erzählten stundenlang von den guten alten Zeiten, als sie noch mit richtigen Flugzeugen unterwegs und die Winter noch richtig kalt waren“, erinnert sich Magoffin.
„Lockheed nutzte die Metall-Vega, um Techniken für spätere Muster zu erproben“ – John Magoffin, Lockheed-Fan
Doch als er sich die Vega-Reste endlich mal ansehen will, sind sie weg: Nachdem das Wrack jahrelang herumlag, hat es schließlich jemand gekauft und abtransportiert. Magoffin sammelt in Alaska viel Erfahrung. Er fliegt Cubs, Stinsons und Otter und schließlich die großen Sternmotor-Maschinen, die in Alaska noch länger im Einsatz bleiben als anderswo: DC-3, DC-6 und auch die C-46 Curtiss Commando, von der er sogar mal zwei besitzt. Während John an seiner Piloten-Karriere arbeitet, gelangt das Vega-Wrack in die Hände von Jack Lowe und Robert Taylor. An ihrer alten Homebase Ottumwa, Iowa, wird die Maschine wieder in flugfähigen Zustand versetzt, wobei der Flügel komplett neu aufgebaut werden muss. Und dann, nach erneuten Eigentümerwechseln, crasht die Vega zum zweiten Mal bei einer Landung und wird schwer beschädigt. 1995 steht die Maschine in diesem Zustand zum Verkauf – und Magoffin schlägt zu.
„Der Rumpf war verbeult und verzogen, das war die größte Arbeit“, sagt Magoffin. „Beim Flügel dagegen mussten wir zwar den zerbrochenen Hauptholm ersetzen. Aber die Rippen aus Mahagoni waren von der letzten Restaurierung noch in bestem Zustand.“ Alle Steuerflächen wurden neu aus Holz gefertigt, die zwei Hauptschotts im Rumpf sind ausgetauscht worden. Rick Barter von der Firma Skywords Aviation nördlich von Tucson übernahm die Arbeit, doch auch der neue Besitzer legte selbst mit Hand an, wann immer er konnte. Als es dann Zeit zum Lackieren wurde, brachte es Magoffin nicht übers Herz, das Aluminium zu verbergen, das ja eine der Besonderheiten an seinem Flugzeug ist. Also wählte er eine historisch korrekte Bemalung mit unlackiertem Rumpf: So wie heute seine Vega sah die Maschine mit der Seriennummer 158 in ihrer Dienstzeit beim USAAC 35th Pursuit Squadron aus.
Die Einheit fliegt übrigens noch heute Lockheed: Die in Korea stationierte 35th Fighter Squadron nutzt den Kampfjet F-16. In den Anfängen der Militärluftfahrt hießen die Jäger in den USA „Pursuit Aircraft“, also Verfolgungsflugzeuge, erst später wurde der Begriff Fighter üblich. Das ist auch der Grund dafür, dass Muster wie die P-51 ein P im Namen tragen, kein F. Als die Vega dann an dem eigens ausgewählten historischen Tag in die Luft kommt, ist John Magoffin überrascht, wie angenehm sie sich fliegt. Am Boden dagegen braucht der Taildragger wegen seines hohen Schwerpunkts die volle Aufmerksamkeit des Piloten: „Sie will überall hinrollen, nur nicht geradeaus.“ Der Vega-Besitzer hat noch große Pläne: Der zur Zeit leere Innenraum soll mit originalgetreu restaurierten Passagiersitzen ausgestattet werden.
Eine weitere Überlegung ist, die riesigen und sehr markanten Radverkleidungen zu beschaffen oder nachzubauen, mit denen viele Vegas früher ausgestattet waren. Magoffin will das Flugzeug für Filmaufnahmen ausleihen, damit es regelmäßig in die Luft kommt. Beim Air Venture 2014 in Oshkosh hat die Maschine bereits viel Aufmerksamkeit erregt. Und dann ist da noch das nächste Projekt, das Magoffin angehen will. Wieder eine Lockheed – diesmal eine Lodestar. Mal sehen, welches Jubiläum sich für deren Erstflug anbietet.
Text & Fotos: Richard VanderMeulen, fliegermagazin 5/2015
- Lockheed Corporation
- 1933
- 12,50 m
- 25,55 qm
- 8,38 m
- 2,59
- 1163 kg
- 2155 kg
- Pratt & Whitney R-985 Wasp Junior,/450 PS
- 1300 ft/min
- 1165 km
- oldtimer
- Spornrad
- Sternmotor
- Taildragger
- Restaurierung
- Buschfliegerei
- Ski
- restauriert
- Eigentümer
- Hauptholm
- freitragend
- freitragender Hochdecker
- Metallbauweise
- Sperrholz
- Amelia Earhart
- Rippen
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- R-1340 Wasp
- Ruby
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- Lodestar