Oldtimer Porträt: Hawker Cygnet
Leicht wie eine Feder, feingliedrig wie eine Libelle, komplex wie ein Uhrwerk – und fast alles besteht aus Holz: In diesem Nachbau steckt unendlich viel Geduldsarbeit. Colin Sussex brachte sie auf – in 16 Jahren hat er ein fliegendes Kunstwerk gebaut
Nein, in diesem Haushalt lebt keine Frau – im Wohnzimmer, quer vor dem Kamin, stehen Tragflächen in Holzbauweise. Und zwar nicht zur Deko. An ihnen wird gearbeitet. Was die Sache gleich noch sympathischer macht.
Bewohner Colin Essex ist das, was man einen echten Holzwurm nennt. Der Brite fertigt Propeller für historische Flugzeuge nach Originalplänen aus den Hölzern von damals. Er baut aber nicht nur Einzelteile, sondern komplette historische Fluggeräte, und er restauriert Oldtimer: Die Flügel im Wohnzimmer gehören zu einer Bücker 181 Bestmann. Colin hat immer gut zu tun. In der Hand hält der 54-Jährige ständig eine Kippe; nur für die Tasse Kaffee legt er sie weg, die er sich gönnt, während er uns sein Haus, die Werkstatt und das Lager mit seltenen Tropenhölzern für seine Propeller zeigt.
Der gelernte Möbelrestaurator und passionierte Modellflieger hat 1993 die Privatpilotenlizenz gemacht. Ein Praktikum in der Holzflugzeugabteilung bei der berühmten Shuttleworth Collection am Old Warden Aerodrome in Biggleswade hat seinen Wunsch nach einer eigenen – natürlich aus Holz bestehenden – Maschine beflügelt. Etwas Besonderes in Leichtbauweise aus den zwanziger bis dreißiger Jahren sollte es sein. Doch der Markt gab nichts her. Irgendjemand hat ihm dann Pläne der Hawker Cygnet schmackhaft gemacht, von denen der rechtliche Nachfolger des Herstellers ganze zwei Sätze auf den Markt gebracht hatte. Vor Jahren waren sie im Magazin der Popular Flying Association (PFA) angeboten worden, dem britischen Pendant zur unserer Oskar Ursinus Vereinigung.
Der Traum vom eigenen Flugzeug: Collin Essex ist eigentlich gelernter Möbelrestaurator
Das Original der Cygnet wurde von Sidney Camm entworfen, der 1923 zu Hawker gekommen war. Der Konstrukteur sollte sich dabei an der Tabloid des Vorgängerunternehmens Sopwith orientieren, Gewicht und Motorleistung durften aber nur halb so hoch sein. Ultrafiligran aus Fichte und Douglasie gebaut würde der Doppeldecker mit einer Leermasse von nur 170 Kilogramm heute problemlos in die UL-Kategorie passen.
Als das britische Luftfahrtministerium Anfang 1924 einen Wettbewerb für leichte zweisitzige Flugzeuge ausschrieb, beschloss Camms Arbeitgeber, mit der Cygnet daran teilzunehmen – immerhin winkten 3000 Pfund Sterling. Zwei Exemplare wurden gebaut, eine mit Scorpion-, die andere mit Anzani-Motor. Im Wettbewerb belegten sie Platz drei und vier. Fred Raynham, einer der beiden Piloten, gewann immerhin 100 Pfund für die beste Start- und Landeleistung. Dabei betrug die Rollstrecke bis zum Abheben 229 Meter, und nach dem Aufsetzen brauchte das Leichtgewicht nur 66 Meter, um zum Stehen zu kommen.
Neue Motoren: Die Antriebsprobleme der Cygnet wurden beseitigt
Zwei Jahre später, 1926, erhielten die Cygnets für das Lympne Lightplane Meeting neue Motoren des Typs Bristol Cherub III; jetzt waren die Antriebsprobleme mit dem Scorpion und dem Anzani Vergangenheit, und der leichte Doppeldecker konnte sein Potenzial ausspielen: In einer Gesamtflugzeit von 30 Stunden und 41 Minuten legte Paul Bulman 1994 Meilen zurück, was einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 65 Meilen pro Stunde entsprach. Diese Leistung brachte ihm den Daily Mail-Preis über 3000 Pfund ein. Heute steht Bulmans Maschine, dieselbe, die zuvor Raynham geflogen hatte, im RAF-Museum von Cosford. Die zweite Cygnet crashte bereits 1927 und wurde nicht wieder aufgebaut.
Warum der Flugzeugtyp trotz seines Erfolgs nie in Serienproduktion ging, wurde Colin Essex erst beim Nachbau so richtig bewusst: Die Konstruktion ist extrem filigran und sehr komplex – sie besteht aus einer Unmenge kleinster Teile. Kaum eine Rippe und kaum ein Spant gleicht dem anderen. Jedes Teil ist mit Aussparungen versehen und so leicht wie möglich ausgelegt. Eine besondere Herausforderung waren die Blecharbeiten und die Herstellung der teilweise hauchdünnen Beschläge.
Filigrane Konstruktion: Kein Teil gleicht dem anderen
Auch die Suche nach dem richtigen Holz war selbst für den Profi schwierig. Vorgesehen war sehr viel Douglasie, ein Nadelholz, das relativ langsam wächst und serbischer Lärche ähnelt. Sowas liegt nicht in jeder Holzhandlung herum, und Colin brauchte es auch noch in Luftfahrtqualität, das heißt mindestens zehn Jahresringe auf den Zentimeter, keine Äste, Windrisse oder Harzgallen im Holz, auch gerade gewachsen muss es sein: Pro 20 Zentimeter Länge dürfen die Jahresringe nur einen Zentimeter aus der Richtung laufen. Fündig wurde der Cygnet-Fan schließlich bei einem Leiterhersteller, der das Holz in entsprechender Qualität und Menge vorrätig hatte.
Nach zehn Jahren Bauzeit war noch kein Ende abzusehen – Colin dachte zum ersten Mal ans Aufgeben. Als dann auch noch ein Fliegerkamerad einen Pietenpol Air Camper aus den zwanziger Jahren nach Plänen gefertigt und damit binnen zwei Jahren in der Luft gekommen war, wuchsen die Zweifel am eigenen Projekt. Um den Bau ungestört vorantreiben zu können, hätte sich Colin mit dem Projekt zurückziehen müssen, doch alles lag ja im Wohnzimmer auf dem Präsentierteller.
„Da waren immer Kunden und andere Leute, die vorbeikamen und mal schauen wollten“, erinnert sich der Unermüdliche, nur die direkten Nachbarn in der Reihenhausiedlung seien nie zum Gucken gekommen, „die dachten, ich bau ein Kanu.“ Um die Sympathiepunkte in der Nachbarschaft war es auch nicht mehr so gut bestellt, nachdem Colin den fertigen Rumpf mit Motor für einen Testlauf in den Garten geschoben hatte: „Vielleicht hätt ich vorher doch mal Bescheid sagen sollen, der Motor ist ganz schön laut.“ Spätestens das wäre der Moment gewesen, in dem die meisten Ehefrauen das Haus in der Whoberley Avenue in Coventry verlassen hätten.
Testlauf im Garten: Colin dachte beim Bau mehrmals ans Aufgaben
Verbaut hat Colin einen JAP J-99 mit 40 PS, wie er etwa in der Aeronca C-3 zu finden ist. Dieser Antrieb geht als Zugeständnis an das Alter des Flugzeugs durch – ein Bristol Cherub war schlichtweg nicht mehr zu bekommen. An guten Tagen leistet der Zweizylinder-Boxer sechs PS mehr als der Cherub im Original. Der ist zudem leichter als der JAP, weshalb dieser mit einer elektronischen Zündung versehen wurde – bei den Zündmagneten abzuspecken bot sich an.
Außerdem erhielt der Gashebel eine Begrenzung, damit der Kraftüberschuss die Zelle nicht zu sehr beansprucht. Nach 16 Jahren Bauzeit stand die Cygnet dann ein weiteres Jahr bei der Shuttleworth Collection, da der Prüfer noch den umgebauten Motorträger nachgerechnet haben wollte. Menschen, die so etwas können und auch noch bereit sind, es zu tun, sind schwer zu finden. Im Mai 2011 fand dann der Erstflug statt. Einer der erfahrenen Shuttleworth-Piloten übernahm den Job. Er fliegt die Cygnet bis heute – Colin hat das noch nie getan. Er fühle sich noch nicht fit genug, sagt der Erbauer, „außerdem ist es am schönsten zuzusehen, wenn das eigene Flugzeug vorgeflogen wird.“
Am schönsten von Außen: der Erstflug der Cygnet findet durch einen erfahrenen Piloten statt
Start und Landung mit der Cygnet scheinen kein Problem zu sein, nur die Dosierung des Seitenruders ist sehr gewöhnungsbedürftig, da es als Pendelruder ausgelegt und extrem sensibel ist. Am besten hält der Pilot bei Start und Landung die Füße ganz still. Die Querruder werden von einem Gummiseil vorgespannt und sind leicht negativ angestellt, ihre Hinterkanten stehen also etwas nach oben. Mit einer Art Trimmrad lässt sich die Grundstellung nach unten verändern. Dies sollte die Mindestfahrt weiter senken, aber ausprobiert hat es noch niemand – der Hinweis „do not use“ auf dem Rad ist unübersehbar.
Vom Boden aus das eigene Flugzeug zu betrachten, während es vorgeflogen wird, bot Colin nicht immer den erhofften Genuss. Eines Tages stand er am Flugplatz neben Fotografen, die ihre langen Teleobjektive aufgepflanzt hatten, um die Cygnet in der Luft abzulichten. Es waren schöne Momente für den Besitzer, bis ein Fotograf sagte: „Sie hat gerade etwas verloren.“ Und ein anderer ergänzte: „Ja, der Propeller ist weg.“
Gebrochene Kurbelwelle: der Pilot konnte die Cygnet sicher landen
Colin weiß nicht mehr, wie lange er die Luft angehalten hat, bis der Pilot den Doppeldecker im Gleitflug endlich sicher runtergebracht hatte. Es war jedenfalls lang. Die Kurbelwelle war gebrochen, der vordere Teil hatte sich samt Propeller verabschiedet. Eine viertägige Suchaktion blieb erfolglos. Der Einsatz eines Hubschraubers brachte genauso wenig wie die Trockenlegung eines Teichs, weil man darin das Teil vermutete. Monate später kam dann ein Bauer mit dem Prop und dem Kurbelwellenfragment zur Shuttleworth Collection und fragte: „Vermisst das jemand?“
Für unseren Fotoflug nimmt Shuttleworth-Urgestein Rob Middleship Platz in der Cygnet. Der Mann ist viel beschäftigt, und das vorgeschlagene Timing für die Fotosession passt ihm nicht sonderlich gut. Meine vorsichtigen, feinen Korrekturen für bessere Bildergebnisse laufen beim Meister komplett ins Leere. Na gut, dann diesmal Kompromisse. Bald, so hofft Colin, wird er selber die Cygnet fliegen: wenn er genügend Taildragger-Zeit auf seiner Aeronca C-3 hat. Dann kommen wir wieder.
Text & Fotos: Cornelius Braun fliegermagazin 07/2017
- G-EBJI
- 8,54 m
- 15,33 m2
- 6,18 m
- 1,78 m
- 170 kg
- 363 kg
- 23 l
- JAP J-99 / 40 PS
- Sovereign, 2-Blatt, fest, Holz, 1,50 m
- ca. 165 km plus 30 Min. Reserve
- ca. 65 km/h
- ca. 100 km/h
- 148 km/h
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