Kitplane

Kitplane Lancair Evolution: Speed appeal

Power kann jeder. Doch Power in Performance umzuwandeln – diese Kunst beherrscht kaum jemand besser als ein Kitplane-Hersteller in Oregon: Mit seinem 330 Knoten schnellen Turbinen-Viersitzer zeigt Lancair mal wieder, wo der Leistungshammer hängt

Von Redaktion

Als Lancair 2007 in Oshkosh das Mock-up seines jüngsten Produkts vorstellte, waren die Reaktionen gemischt. Ohne Fläche und Leitwerk sah die Zelle eigenartig unproportioniert aus, und die runden Fenster verliehen dem Rumpf ein fast kindliches Aussehen. „Erinnert schwer an Charlie Browns Snoopy“, lästerte prompt das renommierte „Kitplanes“- Magazin. Und traf damit ins Mark der Lancair-Gemeinde, die sich unter „Evolution“ eben Reifung und Fortentwicklung vorgestellt hatte und keinen rundäugigen Niedlich-Flieger. Schließlich ist Lancair seit der Premiere des Typs 200 im Jahr 1985 ein Synonym für sexy und schnell.

Zuletzt im Grunde zu schnell: Die Lancair IV/IV-P galt bald als „too hot to handle“ für den Durchschnittspiloten, erst recht ihr im Jahr 2000 vorgestelltes Turboprop-Derivat, die mit der 750 PS starken Walter 601E-Turbine ausgerüstete Lancair PropJet. „Es war Zeit für einen Wechsel“, räumt auch Joe Bartels ein, der das Unternehmen 2003 von Firmengründer Lance Neibauer übernommen hatte. Gemeint ist: Zeit für ein Flugzeug, das von einem breiteren Pilotenkreis problemlos geflogen werden kann.

Als Lancair 2008 mit dem nun fertigen Prototypen der Evolution nach Oshkosh zurückkehrte, war der Beifall groß: Snoopy hatte sich in eine Rassekatze verwandelt. Die Evolution zeigte nun die schnittige Wespentaillen-Form, wie man sie von einer Lancair gewöhnt ist.

Für das Unternehmen in Redmond, US-Bundesstaat Oregon, ist es das erste Muster, das allein für einen Turbinen-Antrieb entwickelt wurde. Zwar bietet Lancair in Zukunft auch eine Kolbenmotor-Alternative an (überraschenderweise mit dem Lycoming TEO-540 statt eines Sechszylinders der Hausmarke Continental) – aus Kostengründen. Immerhin schlägt eine brandneue Pratt & Whitney PT6A-135A mit 435 000 US-Dollar zu Buche: dem Vierfachen dessen, was der gesamte Firewall-forward-Kit der Kolbenmotor-Version kostet. Doch wann die Lycoming-Evolution zu haben sein wird, steht derzeit noch in den Sternen über Oregon, Priorität genießt die Entwicklung der Turbinen-Version.

Ein Kitplane mit 750 PS

Und die hat es in sich: 335 Knoten True Airspeed, 750 PS, Dienstgipfelhöhe 28 000 Fuß – nicht übel für ein Bausatz-Flugzeug. Die Werte sind freilich noch nicht endgültig, schließlich ist die Evolution noch im Entwicklungsstadium.

Seit dem Erstflug am 21. Mai letzten Jahres wurden bis November in Redmond gut 130 Testflugstunden absolviert. Dabei war der Prototyp noch ohne Druckkabine unterwegs. In der endgültigen Version wird sogar der Gepäckraum luftdruckkontrolliert sein, sodass es keine bösen Überraschungen mit freifliegender Zahnpasta gibt. Geplant ist eine Kabinen-Druckhöhe von 8000 Fuß in Flugfläche 280.

Geregelt wird der Druckausgleich elektronisch – von ACES (Aircraft Control and Environment System), einem Touchscreen-Panel, über das nahezu alle Systeme und Funktionen überwacht und bedient werden. ACES sitzt zwischen den beiden Bildschirmen des Garmin-Glascockpits. Dessen G900X ist die Experimental-Version des G1000 (für zertifizierte Flugzeuge) und bietet wie dieses Synthetic Vision. Alternativ zum G900X offeriert Lancair das EFIS-SV Pro 6 von Chelton, doch bislang hat sich kein Kunde dafür entschieden.

Das Cockpit – bis auf wenige Details bereits serienkonform – wirkt angenehm aufgeräumt. Oberhalb des Primary Flight Displays sind fünf Schalter (Master, Fuel Pump, Ingnition, Starter, Generator) platziert, daneben sitzt der Fahrwerkshebel. In der Mitte die üblichen drei Back- up-Instrumente für Fahrt und Höhe sowie der Künstliche Horizont, rechts daneben der Autopilot.

Innenausstattung edel wie in einer Limousine

Noch herrscht in der Kabine kohlefaserschwarze Test-Atmosphäre, im Endprodukt – das zeigt das Mock-up – ist das Interieur so edel wie das einer Oberklasse-Limousine und erinnert an Diamonds DA-50: alles in hellem Leder. Und mit ausreichend Platz: Die Kabine der Evolution ist zehn Zentimeter höher und zehn Zentimeter breiter als die der Lancair IV-P.
Hier kommen die Ergebnisse einer Lancair-Marktstudie zum Tragen, die bei der Evolution berücksichtigt wurden. „Wir haben unsere angestammten Kunden befragt, welche Änderungswünsche sie haben“, sagt Entwickler und General Manager Tim Ong. „Alle wollten eine größere Kabine und mehr Zuladung bei gleichbleibender Reichweite und Geschwindigkeit.“

Natürlich sollte die nächste Lancair schnell sein wie ihre Schwestern, doch noch etwas ergab die Studie: „Die Kunden wünschten sich bessere Langsamflugeigenschaften“, so Ong. Das war für den Maschinenbau-Ingenieur die härteste Nuss, die er bei der Evolution-Konstruktion zu knacken hatte. „Darauf haben wir die meiste Arbeit verwendet: ein Design zu finden, das sowohl eine hohe Maximalgeschwindigkeit als auch eine niedrige Mindestfahrt ermöglicht.“ Das Ergebnis: Obwohl bis zu 340 Knoten TAS drin sind, liegt die Stallspeed clean bei 75 Knoten. Mit Klappen sind es 61 Knoten, der Höchstwert nach FAR 23 bei MTOM.

Der Composite-Viersitzer ist aerodynamisch perfekt

Die exzellente Aerodynamik dieses Composite-Viersitzers kommt auch in seinem Gleitwinkel zum Ausdruck: 1 zu 22! Oder anders gesagt: bei 110 Knoten verliert die Maschine im Gleitflug mit gefeathertem Prop nur 600 Fuß pro Minute.

Dreieinhalb Jahre sind von der Studie bis zur fliegenden Maschine vergangen, die Evolution ist ein reinrassiger CAD-Vogel, also vollständig am Computer konstruiert. Ein flottes Tempo, unter dem allerdings Tim Ongs Privatprojekt litt: Seine Lancair ES geht nun ins siebte Baujahr. Immerhin hat sie inzwischen ihren ersten Probeflug gemeistert, noch ungeschminkt in Grundierungs-Mausgrau.

Bei unserem Flug mit dem Evolution-Prototypen demonstriert mir Tim Ong auch die Langsamflugeigenschaften. Zur Vorbereitung auf den Power-off-Stall lässt er bei 140 KIAS das Fahrwerk raus – die Max Gear Extensions Speed (VLO) liegt bei bemerkenswerten 180 Knoten – und hungert die Evolution langsam aus. Mit voll gezogenem Stick zeigt der Geschwindigkeitsmesser 54 Knoten an, als der Initial Stall kommt. Doch mehr als ein deutlich spürbares Schütteln passiert nicht. Lässt man den Knüppel nicht nach, nimmt die Maschine schließlich einfach die Nase runter. Weiterhin voll gezogen, geht das Spiel von vorn los. Kein Wegrollen, kein Abkippen.

Unsere Maximalhöhe ist mangels Druckkabine auf 10 000 Fuß limitiert. Doch das reicht, um ein paar Performance-Werte abzufliegen. Mit einem Powersetting von 60 Prozent klettert die Evolution 2000 Fuß pro Minute. Gut: Ohne Druckkabine, Klimaanlage, De-Icing-System und anderen Komponenten sind wir ein Leichtgewicht, zudem mit nur halb vollen Tanks. Die höchste Steigrate, die Lancair mit 4000 Fuß pro Minute angibt, reizen wir nicht aus. In 10 500 Fuß erscheinen bei 74 Prozent Leistung 279 Knoten auf dem PFD, die „Economy Cruise“ von 220 Knoten soll sich bei etwas unter 70 Prozent Leistung einstellen.

Die Evolution macht einen agilen, aber keinen hektischen Eindruck; entspannt und mühelos steuert Tim durch alle Manöver. Da die Maschine zurzeit das vorgeschriebene Testprogramm durchläuft, ist Selberfliegen für mich nicht drin; da bleibt Lancair auf der sicheren Seite.

Das Edel-Kitplane hat perfekte Landeeigenschaften

Beeindruckend sind Anflug und Landung. Wir nehmen die Power auf Idle, bei 130 Knoten entriegelt der Werkspilot das Fahrwerk. Im Gegenanflug haben wir 100 Knoten drauf, Tim fährt die Flaps auf 20 Grad. Im Final stehen nur noch 78 Knoten auf dem Fahrtmesser, bei 50 Grad Klappen, dann 75 Knoten, und unten sind wir. Nach weniger als 500 Metern rollen wir schon von der Piste ab – dank Reverse Pitch ist Bremsen überflüssig. „Im Grunde brauchst Du die Bremsen gar nicht“, sagt Tim. „Ich benutze sie so gut wie nie, das senkt die Wartungskosten.“ Interessante Sparmaßnahme, wie sie leider nur bei einem Turbinen-Triebwerk möglich ist.

18 Bestellungen für das Edel-Kitplane liegen bereits vor. „Viele potenzielle Kunden warten darauf, dass wir die Höhentestflüge abgeschlossen haben, weil sie wissen wollen, wie gut die Druckkabine arbeitet“, vermutet Tim. Andere Kunden haben schon mit dem Bau begonnen: Die ersten beiden Käufer sind bereits mit der Zelle samt Fläche fertig.

250 000 Dollar kostet der so genannte Fast-built-Kit, der Rumpf, Flügel, Steuerung, Leit- und Fahrwerk enthält, nicht jedoch Antrieb, Avionik oder Interieur. 125 000 Dollar sind bei Vertragsabschluss zu zahlen, wobei das Geld nicht erstattet wird, falls der Kunde einen Rückzieher macht. Das gilt im übrigen für jede Lancair: 50 Prozent des Kit-Preises sind vorab fällig. „Wir müssen ja die Materialien bezahlen“, begründet Tim dieses Prinzip.
Nahezu jeder Lancair-Kunde nimmt das Builders-Assist-Programm in Anspruch, bei dem man einen Großteil seines Kitplanes im Werk mit Hilfe von Lancair-Technikern zusammenbaut. Die Profi-Unterstützung kostet 4000 Dollar pro Woche; einige Käufer verbringen bis zu zehn Wochen in Oregon, in der Regel sind es ein bis zwei. Für die Evolution hat Lancair eigens Hallen angemietet, die allein für die Montage des Turbinenflitzers gedacht sind. Die erste Kundenmaschine soll übrigens schon in den kommenden Wochen fertig sein.

Sobald BRS sein VLJ-Rettungssystem zertifiziert hat, wird der Fallschirm auch für die Evolution zu haben sein. Damit wäre sie oberhalb der UL- und LSA-Klasse das erste Kitplane mit Rettungssystem. Auch das eine Evolution.

Text: Claudia Stock, Fotos: John D. Parker, Claudia Stock
fliegermagazin 02/2009

Technische Daten
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  • Kitplane
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