Flugzeuge

Laird Speedwing LC-RW-300: Rarität aus der Kiste

Ein in den zwanziger Jahren gebauter Doppeldecker geht erst 65 Jahre später zum ersten Mal in die Luft. Das weltweit einzige flugfähige Exemplar gehört einem Sammler in Europa. Der französische Restaurierungs-Experte Bruno Ducreux nimmt uns mit auf eine Zeitreise.

Von Jean-Marie Urlacher
Laird Speedwing LC-RW-300: Rarität aus der Kiste
Sie fliegt wie auf Schienen: Mit dem starken Sternmotor, einem dünnen Flügelprofil und der geringen Spannweite liegt die Laird stabil in der Luft.

Das Jahr 1929: Herbert Hoover regiert die USA und die National Aeronautical Federation, der Vorläufer der FFA, wird ins Leben gerufen. In den Straßen von Chicago treffen Ford Model A Roadster auf Packard Coupé Cabriolets und Cadillac Town Sedans. Bing Crosbys Stimme knistert zur Melodie von „The Spell of Blues“ aus den Radios. Anfang der zwanziger Jahre haben die Amerikaner das Auto und die Luftfahrt für sich entdeckt.

In den Roaring Twenties geht es um Geschwindigkeit, als soll die im Ersten Weltkrieg verlorene Zeit wieder aufgeholt werden. Man beginnt, den Wert von Flugzeugen nicht mehr an der Anzahl der Meilen zu messen, die sie zurücklegen können, sondern an der Zeit, die sie dafür brauchen, zwei Orte zu verbinden. Doch am Donnerstag, dem 24. Oktober 1929, bricht die Wall Street zusammen. Es ist das unausweichliche Ergebnis eines Spekulationsrausches, der sich seit 1926 immer weiter gesteigert hatte.

Die große Depression beginnt. In diesem Jahr ist Emil Matthew Laird 33 Jahre alt. Die Bank kommt, um das Vermögen seiner kleinen Flugzeugfirma E. M. Laird Airplane Company zu pfänden. Sie beschlagnahmt alle Wertgegenstände, darunter auch eine Holzkiste. Die enthält ein zerlegtes, brandneues Flugzeug, das noch nie geflogen ist: eine Laird „Speedwing“ mit der Nummer 203. Sie wird erst 65 Jahre später in die Luft kommen – und uns gleich näher beschäftigen.

Emil Matthew Laird: Ein Leben in der Luftfahrt

Doch zuerst: Wer ist Emil Matthew Laird? Emil Matthew Laird, genannt Matty, wird am 29. November 1895 in Chicago in einer bescheidenen und kinderreichen Familie geboren. Er ist 13 Jahre alt, als sein Vater stirbt. Um seiner Mutter zu helfen, arbeitet er im Büro der First National Bank in Chicago für fünf Dollar die Woche. Eines Tages sieht er einen Flug von Walter Brookins, dem ersten Vorführpiloten der Gebrüder Wright, mit einem Modell A.

Eine Offenbarung: „Ich war so erstaunt, wie er seine Maschine am Himmel manövrierte, dass ich mir schwor, auf die eine oder andere Weise Teil dieses Luftfahrtabenteuers zu werden. Ich wusste nicht wie, aber ich würde einen Weg finden, koste es, was es wolle“, erzählte er später.

LESEN SIE AUCH
Luftpost
News

Boeing: Die Geschichte eines Weltkonzerns

Matty begann mit dem Bau von Modellflugzeugen und trat einem Modellflugverein bei. Mit 15 Jahren baute er ein paar Segelflugzeuge, die er an seinem Fahrrad befestigte. Schließlich entsteht auf dem Dachboden seines Hauses in der Honore Street ein von ihm entworfenes Flugzeug, das er am 15. September 1913 selbst fliegt – nur drei Meter hoch. Vier Monate später verdoppelt er die Höhe und bringt sich so allmählich selbst das Fliegen bei.

Emil Matthew Laird wird zum Barnstormer

Unter Verwendung von Flugzeugteilen aus dem Crash eines Freundes entsteht 1914 ein Doppeldecker mit eigenem Namen: Laird Baby Plane. Bill Pickens, ein reicher Bauunternehmer, hört von Mattys Flügen und bezahlt ihm 350 Dollar – damals ein Vermögen – damit er vor dessen skeptischen Freunden Flüge vorführt. In den nächsten drei Jahren wird Laird zum „Barnstormer“, der die Städte des Mittleren Westens abklappert und dort sein Flugzeug zeigt. Im Winter arbeitet er in New Jersey in der Fabrik von Sloan Aircraft, dort lernt er den Flugzeugbau bei den Profis. 1915 bringt Laird einen neuen Doppeldecker heraus: den Boneshaker.

SchönheitSchönheit
Die goldenen zwanziger Jahre: Noch früh in der Geschichte der Luftfahrt entstanden solche Schönheiten wie die „Speedwing“.

Der Knochenschüttler wird wegen seiner enormen Vibrationen bei niedrigen Drehzahlen so genannt. Er hat einen Sechszylinder-Anzani-Sternmotor mit 45 PS. Laird kann mit dem Boneshaker trudeln und sogar Loopings fliegen! 1916 absolviert er mit Katherine Stinson eine Vorführreise durch China, Japan und Kanada. Katherine, die Tochter des Flugzeugbauers Stinson, war eine der ersten Piloten und Pilotinnen, die Loopings flog. Man nannte sie „the flying schoolgirl“. Im März 1917 testet Laird das neue Flugzeug eines Freundes. Er schafft es nicht, aus dem Trudeln herauszukommen und stürzt ab. Laird erleidet mehrere Brüche und verliert fast ein Bein. Mehrere Monate liegt er im Krankenhaus.

Unter Larids angestellten findet man zwei berühmte Namen

1920 gründet er mit seinem Bruder Charles, William A. Burke und Jacob Mollendick das Unternehmen Wichita Airplane Company. Sie produzieren ein Flugzeug namens „Swallow“ (Schwalbe), das ein Konstrukteur namens Butch Weaver entwirft. Er wechselt später zur Firma Waco. 43 Exemplare der „Swallow“ werden in vier Jahren gebaut und erfreuen sich in den USA zunehmender Beliebtheit. Unter Lairds 20 Angestellten sind zwei Namen, die später die Luftfahrt prägen sollen: Lloyd Stearman als Zeichner, und Walter Beech als Pilot und Verkäufer. Clyde Cessna ist einer der ersten Kunden.

Nach einer Auseinandersetzung mit dem Mehrheitsaktionär verlässt Laird das Unternehmen und gründet 1923 die E. M. Laird Airplane Company mit 85 Mitarbeitenden. Seine Flugzeuge erlangen einen Ruf als solide, qualitativ hochwertige, schlanke und schnelle Flugzeuge. Laird ist nie an Massenproduktion interessiert. Er baut lieber limitierte Serien, die in Bezug auf Konstruktion, Leistung und Qualität hervorragend sind. Allerdings ist die Sicht nach vorn begrenzt, die Flugzeuge gleichen fliegenden Torpedos. Ab 1925 wechselt Laird von Holz auf Metall als Baumaterial. Dann stutzt der Börsencrash von 1929 Laird die Flügel – und jene Holzkiste kommt ins Spiel.

Die Holzkiste wird weiterverkauft

Die Bank beschlagnahmt sie zwar, doch Laird gelangt wieder an sie und verkauft sie an einen Sammler auf Long Island. Der lässt die Kiste unausgepackt. Jimmy Rollison, ein Freund von Laird und Pilot bei TWA, kauft sie 1960 für 1000 Dollar und bringt sie nach San Francisco. Nun wird sie geöffnet – und enthält die Teile einer Laird LC-RW-300 mit der Nummer 203. Ein Zusammenbau ist allerdings unmöglich: Es fehlen einige Teile – und Pläne gibt es nicht mehr.

Matty Laird stirbt am 18. Dezember 1982. Jimmy Rollisons Sohn Jimmy Junior, ebenfalls Airline-Pilot, kauft seinem Vater die Kiste ab. 1989 wird er von Lairds Enkel kontaktiert. Der hat die Originalpläne des Flugzeugs gefunden – und damit das fehlende Puzzleteil!

RaritätRarität
Die Rarität aus der Kiste wäre um ein Haar nie in die Luft gekommen, denn die Baupläne waren jahrzehntelang verschwunden.

Im November 1991 wurde das Flugzeug zu Dan Murray in seine Werkstatt in Santa Paul, Kalifornien, geschickt, wo es wieder aufersteht. Ein neuer Pratt & Whitney R-985-Motor wird eingebaut, ein Spornrad ersetzt die ursprüngliche Kufe. Schließlich ist das Flugzeug im Februar 1993 endlich flugbereit. Jimmy Rollison Junior absolviert den ersten Testflug. 100 Flugstunden später verkauft er die Laird an Walt Bowe, einen Freund der Familie. Das Flugzeug ist halbwegs restauriert, es gibt noch Probleme mit der Bespannung und der Steuerung. Walt machte sich Ende 2011 an die Arbeit, ersetzt Rumpfbleche, verkleidet die Innenausstattung mit Leder wie in den zwanziger Jahren, findet Originalinstrumente, verlegt neue Kabel und baut andere Bremsen ein.

Die Laird aus der Kiste wird restauriert

Doch die typischen Farben der Laird-Flugzeuge behält er bei: Schwarz und Gold! 2013 kommt die einzigartige Maschine nach Europa: Ein Flugzeugsammler kauft die Rarität und bringt sie zum Aéro Restauration Service (ARS) von Bruno Ducreux in Frankreich. Anlässlich der Feier des 20. Firmenjubiläums erleben Freunde und Kunden eine einzigartige Flugveranstaltung: Sie sehen die wunderschöne Laird LC-RW300 fliegen. Im Cockpit sitzt Bruno Ducreux.

Bruno DucreuxBruno Ducreux
Instandhaltung als Lebenswerk: Seit fast zehn Jahren befindet sich die Laird LC-RW-300 in der Obhut von Bruno Ducreux.

Der ehemalige Konditor ist nicht nur ein genialer Mechaniker, sondern er fliegt auch die Maschinen, die er wartet. Als Kunstflieger, Mechaniker und Warbird-Pilot, von der Spitfire bis zur Hurricane, kümmert er sich um legendäre, seltene und komplexe Maschinen.

Wir dürfen die Rarität Laird LC-RW300 fliegen!

Seit fast elf Jahren befindet sich die Laird LC-RW300 nun in seiner Obhut. Und Bruno Ducreux nimmt uns mit auf einen Flug. Schon am Boden fällt die Form der Maschine auf: ein riesiger Torpedo als Rumpf, der in einem wunderschönen, 2,70 Meter langen Hamilton-Metall-Zweiblattpropeller mündet, angetrieben von einem 450 PS starken Pratt & Whitney-Sternmotor. Innen zwanziger Jahre pur: die Verriegelung der Tür, überall Messing, Leder, Holz – Ästhetik findet sich in jedem Winkel der Maschine.

SpeedSpeed
Auf Speed getrimmt: Der torpedoförmige Rumpf wird von einem Hamilton-Metallprop gezogen.

Der Rumpf ist ein geschweißtes Metallrohrgerüst mit einer Holzverkleidung, die Flügel sind aus Holz. Das Leitwerk ist ein mit Holz verkleidetes Metallrohrgeflecht; die Ruder sind mit Stoff bespannt. Wir inspizieren den Öl- und Treibstoffstand. Ein 38-Liter-Öltank versorgt das Schmiersystem. Das Spiel an der Steuerung, die Befestigung der Motorabdeckung und der Zustand der Fahrwerksgummis werden überprüft. Als Trimmung ist der Anstellwinkel des Höhenruders wie bei einer Super Cub veränderbar. Der obere Flügel ist aus einem Stück gefertigt, die beiden unteren Flügelhälften werden durch Abspannseile in Position gehalten.

Laird wusste, was schnelles Fliegen ist

Der Einstieg in das Flugzeug ist sportlich. Aber was für eine Atmosphäre hat dieses Cockpit! Das Instrumentenbrett ist wunderschön und schlicht, die wenigen historischen Instrumente lassen einen in die Geschichte eintauchen. Der Pilot sitzt hinten, vorn ist Platz für zwei Passagiere. Der 200-Liter-Haupttank ist noch davor im Rumpf verbaut, im oberen Flügel verbirgt sich ein Zusatztank mit 60 Litern. Fünfmal pumpt Bruno mit dem Primer, dann dreimal mit dem Gashebel. Dann die Magnete auf „beide“, den Gashebel einen Zentimeter nach vorn und anlassen.

DreisitzerDreisitzer
Dreisitzer: Die Laird wird von hinten geflogen. Im vorderen Cockpit finden zwei Personen Platz.

Eine Abgaswolke windet sich um den Rumpf; der Pratt & Whitney schnurrt mit 1000 Umdrehungen pro Minute. Unnötig zu erwähnen, dass beim Rollen die Sicht nach vorn Null ist. Man muss gut 45 Grad nach links und rechts schlingern, um zu sehen, ob da nicht jemand vor einem ist. Die Trommelbremsen, die durch Seile betätigt werden, sind zum Glück wirksam genug. Die Laird hat keine Landeklappen, sondern vier Querruder. Die Beschleunigung ist nicht überwältigend. Es gibt relativ wenig Propellereffekte. Also langsam Gas geben und vor allem das Spornrad am Boden halten, bis die Steuerung über die Flächen wirksam wird. Gut getrimmt und mit Höhenruder in Neutralstellung hebt die „Speedwing“ bei etwa 70 Knoten ab.

Es gibt nur diese eine Laird Speedwing LC-RW-300

Mit Cruise Power wird die Laird dann ihrem Namen gerecht: Bei 2300 rpm erreicht sie für einen Doppeldecker von damals sensationelle 140 Knoten – und schluckt dabei 85 Liter pro Stunde. Diese Geschwindigkeit kommt natürlich durch den großen Motor zustande, aber auch aufgrund des dünnen Flügelprofils und der geringen Spannweite.

Laird wusste, wie schnell fliegen funktioniert. Das Flugzeug liegt sehr stabil in der Luft. Die Steigrate ist beeindruckend, aber im Reiseflug verbessert sich die Sicht nach vorn nur wenig. Die Laird erinnert eher an einen Vorfahren der Pitts als an den einer Stearman.

Im Landeanflug ist der Gedanke allgegenwärtig: Bloß vorsichtig, diese Maschine gibt es nur ein einziges Mal! Sie ist schwer, deshalb muss Motorleistung beibehalten werden. Der Strömungsabriss erfolgt bei etwa 60 Knoten, eine Stallwarnung gibt es nicht. Auf befestigten Pisten neigt die „Speedwing“ aufgrund der großen Räder dazu, nach links oder rechts auszubrechen. Wenn Passagiere an Bord sind, sollte die Anfluggeschwindigkeit nochmals erhöht werden, um die Maschine in der Luft und die Steuerflächen wirksam zu halten.

GraspisteGraspiste
500 Meter Graspiste reichen der Laird „Speedwing“. Unebene Bahnen machen dem Fahrwerk wenig aus.

Sie kann auf einer 500 Meter Graspiste landen. Ein kurzer Blick nach draußen auf die Piste, 85 Knoten für den Endanflug, Gas reduzieren – und dieses unglaubliche Flugzeug ist am Boden. Die Insassen haben gerade einen historischen Sprung von fast 100 Jahren gemacht – für die Dauer eines Fluges. Wer diese Maschine fliegen sieht, muss unwillkürlich an Emil Matthew Laird denken. Das Genie starb im Alter von 87 Jahren, aber seine fliegerische Laufbahn wird einzigartig bleiben. Von den Flugzeugen der Gebrüder Wright bis zur Concorde, von seinem Baby Plane bis zur Boeing 747 war er Zeuge und Akteur der Entwicklung der Luftfahrt. Nun ist zum Glück wenigstens eines seiner Flugzeuge erhalten – und es kommt regelmäßig in die Luft.

Text: Jean-Marie Urlacher / Bruno Ducreux, Fotos: Jean-Marie Urlacher

Technische Daten
  • N4442
  • zwanziger Jahre
  • 9,50 m
  • 7,50 m
  • 2,80 m
  • 260 l
  • Pratt & Whitney R-985 / 450 PS
  • Hamilton Zweiblatt, fest, Metall, 2,70 m
  • 60 Knoten
  • 140 Knoten
  • 85 Knoten
Über den Autor
Jean-Marie Urlacher

Schlagwörter
  • Laird
  • Laird Speedwing
  • Speedwing
  • Doppeldecker
  • Stearman
  • Restauration
  • Flugzeuge
Ähnliche Artikel