Klassiker-Porträt: 70 Jahre Kunstflug-Doppeldecker Curtis Pitts Special
Jeder, der nicht gerade Zeitgenosse der Wright-Brüder war, kennt sie, denn irgendwie gab es sie schon immer: die Doppeldecker von Curtis Pitts. Dieses Jahr feiern die amerikanischen Akro-Zwerge ihr 70-jähriges Jubiläum
Gab es eigentlich jemals eine Zeit, in der die Pitts Special nicht auf der Wunschliste jedes Piloten stand? Okay, es gab sie, aber das war vor 1945, dem Geburtsjahr der Pitts. Man muss schon einige Generationen zurückgehen, bis man Piloten findet, die bereits flogen, bevor die winzige Special zum ersten Mal abhob und sich dann in der Selbstbau- ebenso wie in der Akroszene etablierte. Diese manntragende Hummel war einfach schon immer da. Sein erstes Flugzeug baute Curtis Pitts (1915–2005) bereits zur Highschool-Zeit. Auch Kunstflug spielte schon früh eine Rolle in seinem Leben: Als er Leuten wie Mike Murphy zuschaute, der mit seiner mächtigen Waco durch die Luft schoss, war ihm klar, dass er genau das wollte: die ultimative Freiheit genießen, denn nichts anderes verkörperten diese Manöver für ihn. Auf Anraten einiger Flugplatz-„Experten“ kaufte er eine Waco F-2, die angeblich ein gutes Kunstflugzeug sein sollte.
Pech für Curtis, dass er gegenteilige Erfahrungen machte: „Es war das jämmerlichste Flugzeug, das ich je besaß“, sagte er. „Ich konnte kaum hoch genug steigen, um genügend Fahrt für einen Looping aufzubauen, und rollen wollte sie auch nicht.“ Curtis war überzeugt, dass er ein Flugzeug konstruieren und bauen konnte, das bessere Kunstflugqualitäten hatte. Doch dann kam der Zweite Weltkrieg, und er wurde Qualitätsprüfer für Schweißarbeiten auf der Naval Air Station in Jacksonville, Florida. Vom Träumen hielt ihn das nicht ab. Auch nicht, als er 1938 Willie Mae Lord kennenlernte, seine spätere Frau. Sie war immer an Curtis’ Seite, und als seine Geschäfte und abenteuerlichen Aktivitäten zunahmen, war „Ma“ in der Szene, die Beide umgab, genauso wichtig wie der Meister selbst.
Dank vollsymmetrischer Flügelprofile fühlt sich die S-2C auf dem Rücken genauso wohl wie mit den Rädern nach unten
In ihrer Küche lagen nicht nur Flugzeugteile rum, die bespannt oder vernäht wurden – da sah man auch viele der besessensten und eigensinnigsten Flieger, für die „Ma“ und „Pa“ Pitts wie ihre Familie waren. Formal besaß Curtis einen Highschool-Abschluss. Darüber hinaus hatte er aber einen unersättlichen Lernhunger und ein ganz natürliches Verständnis für alles Mechanische – sowohl theoretisch als auch praktisch. Er nannte sich selbst immer einen „Redneck-Ingenieur“: einer, der sich nicht an hochtrabende Theorien klammert, sondern eine Aufgabe so einfach und so günstig wie möglich erledigt. Auch im fortgeschrittenem Alter, nachdem er schon viele Flugzeuge konstruiert und gebaut hatte, spielte er sich übrigens nie als jemand auf, der alle Antworten kennt – obwohl er da wahrscheinlich die meisten kannte.
Zu Beginn, als er in Jacksonville kleine Doppeldecker skizzierte, war es ihm wichtig, die erfahrenen Ingenieure auf der Navy-Basis kennen zu lernen. Dr. Fred Thompson war der wichtigste von ihnen. Er überprüfte Curtis’ Berechnungen und Konstruktionen; die Beziehung währte über Jahrzehnte. Wenn die armselige Waco ihn überhaupt etwas gelehrt hatte, dann dass die Leistung eines Flugzeugs von dessen Größe und Strukturfestigkeit abhing (man kann auch „leicht und stabil“ sagen). Je leichter und kleiner ein Flugzeug ist, desto weniger Motorleistung braucht man für eine überragende Performance. Ein Nebenaspekt: Motorleistung kostet Geld, und das war knapp im Hause Pitts. Offensichtlich hatte es die Natur nicht so gern, dass sich da ein neuer Vogel in ihrem Kosmos einnisten wollte, und so ärgerte sie Curtis zunächst mal in Form eines Tornados, den sie über sein Grundstück schickte.
Dabei wurden die E-2 Cub und die Taylorcraft seiner kleinen Flugschule komplett zerstört. Der 55 PS starke Lycoming O-145 aus der Taylorcraft war jedoch genau der Motor, den Curtis für seinen kleinen Flieger brauchte. Damals konnte er nicht ahnen, dass eine Pitts mit 55-PS-Motor für künftige Generationen nicht nur unvorstellbar, sondern auch ziemlich lächerlich sein würde. Als er dann die Form des Rumpfs, des Leitwerks und der Flügel festlegte, wusste er auch nicht, dass er mit dieser Konstruktion eine Luftfahrt-Ikone schuf. Sein erster Doppeldecker definierte den Pitts-Look. Es gab aber auch Merkmale, die man fortan nie mehr sah. Da ist vor allem das starre Fahrwerk. Außer den überdimensionalen Ballonreifen, die bei der E-2 Cub und frühen Ercoupes zum Einsatz kanen, gab es nichts, was Stöße aufnahm.
Zum Problem wurde das starre Fahrwerk, als Curtis mal eine etwas härtere Landung machte: „Als die Maschine sprang, wusste ich nicht, dass beide Achsen abgebrochen waren und nur noch zwei Spitzen aus Stahlrohr nach unten ragten. Du kannst dir nicht vorstellen, wie schnell ein Flugzeug zum Stehen kommt, wenn es auf dem Kopf mit dem Heck nach vorn übers Gras rutscht.“ Beim Wiederaufbau erhielt der Doppeldecker einen 90-PS-Franklin-Motor und ein Fahrwerk mit Gummizug-Federung. Der hochgezogene Rumpfrücken hinterm Piloten war unbeschädigt geblieben. Allerdings nicht lange: Der folgende Besitzer, ein Agrarflieger, kam in einer Rolle etwas zu tief, ohne Rückenflug-Spritversorgung – und das war’s. In seinem schleppenden Süd-Georgia-Dialekt meinte Curtis: „Das Flugzeug hätte in einen Wäschekorb gepasst.“ Dennoch trug der Pilot nur leichte Verletzungen davon.
Glücksfall für Pitts: Betty Skelton steigert das Ansehen der Marke enorm
Als Curtis und sein Mitverschwörer Phil Quigley sich an Special Nummer 2 machten, wussten sie ziemlich genau, welche Anforderungen es zu erfüllen galt. Das Ergebnis war ein Flugzeug, das nicht nur die Richtung für alle weiteren Pitts vorgab – es wurde auch der berühmteste Mini-Doppeldecker aller Zeiten. Special Nummer 2 hatte das inzwischen bewährte gefederte Fahrwerk und einen der neuen Continental C-85, der mit Rückenflugsystem ausgerüstet war. Damit konnte das Flugzeug seine dreidimensionale Agilität durch eine vierte Dimension erweitern. Gut, technisch gesehen handelt es sich nicht um eine vierte Dimension, upside down und negative Figuren zu fliegen, aber wenn man das als Pilot zum ersten Mal macht, fühlt es sich so an. Jetzt war die kleine Special voll kunstflugtauglich, und Phil zeigte bei zahlreichen Airshows im Südosten der USA, was in ihr steckte.
Es war auf einer dieser Veranstaltungen, den Miami All American Air Maneuvers im Jahr 1947, wo das Schicksal der Pitts Special eine entscheidende Wendung zum Guten nahm. Doch beinahe wäre es dazu nicht gekommen: Betty Skelton, eine kleine, quicklebendige junge Teilnehmerin, schaute im Flug aus ihrer Great Lakes hinunter auf den kleinsten Doppeldecker, den sie je gesehen hatte, umgeben von einer Menschenmenge. Nach der Landung bahnte sie sich einen Weg zwischen den Leuten hindurch zu dem Flugzeug, von dem sie gleich wusste, dass sie es haben musste. „Vielleicht hat es mit meiner Größe zu tun“, sagte sie, „aber die Pitts sah exakt danach aus, dass sie perfekt zu mir passt.“ Sie war so verliebt in das Flugzeug, dass sie darum bat, mal reinsitzen zu dürfen, erhielt aber eine sehr chauvinistische Abfuhr von den Typen, die drum herum standen und zu denen auch Phil und Curtis gehörten.
Später wurden sie alle gute Freunde und lachten über die Episode, aber damals war Betty sauer. Umso mehr wurde ihr Wunsch angestachelt, diese kleine Maschine zu besitzen. Ein paar Monate später gehörte sie ihr. Als Betty sie neu lackieren ließ, kam das bekannte Stinktier-Bild auf dem Rumpfrücken drauf. Es war die Geburtsstunde von Little Stinker. Im Kunstflug machte das Muster jetzt als Pitts Special auf der Überholspur Karriere. Betty trug zur Berühmtheit der Pitts bei, als sie drei Mal hintereinander die US-Kunstflugmeisterschaft der Damen gewann. Ihre anziehende Erscheinung und ihr bezauberndes Wesen machten sie zum Liebling der Presse – Little Stinker immer im Schlepptau. Nach Betty Skelton ließ sich Caro Bayley eine Pitts bauen, mit der sie 1951 die Damenwertung der Kunstflugmeisterschaft gewann. Sie war sogar noch kleiner als Betty und wog so gut wie nichts – mit einem 125-PS-Lycoming war das Flugzeug eine Rakete.
Curtis’ strahlende Zukunft als Hersteller von Kunstflugzeugen wurde am 15. September 1951 bei einer Airshow in Flagler, Colorado, zerschlagen: Ein Pilot, der nicht als Teilnehmer vorgesehen war, versuchte eine langsame Rolle in Bodennähe. Die Maschine touchierte mit den Flächenenden den Boden und krachte Rad schlagend in die Zuschauer – 20 Personen starben, die Hälfte davon Kinder. Das Airshow-Geschäft war erst mal dahin, und bei Curtis blieb das Telefon ruhig. Als Folge davon wurden in den fünfziger Jahren nur zwei Pitts Special gebaut, beide nach unvollständigen Plänen, die in der Werkstatt des Konstrukteurs rumlagen. Die meisten Pläne waren bei einer Überschwemmung verloren gegangen. Es dauerte bis in die frühen Sechziger, als einige Piloten in der Gegend um Homestead, Florida, wo Curtis lebte, nach Plänen zu fragen begannen.
Die Entwicklung des Unternehmens brachte im Pitts-Stammbaum einige Verästelungen hervor
Doch alles, was es gab, waren Skizzen und Zeichnungen der wesentlichen Bauteile. Detaillierte Darstellungen fehlten. Curtis sah sich aber außerstande, einfach Pläne zu zeichnen, ohne eine Vorlage zu haben, also ein Flugzeug. Hier kommt Pat Led ins Spiel, einer von Curtis’ Freunden aus der Gegend. Pat bot sich an, auf Basis der wenigen vorhandenen Zeichnungen ein Flugzeug zu bauen. Curtis schaute ihm dabei über die Schulter und half, wo es keine Unterlagen gab. Während Teile entstanden, fertigte er die Zeichnungen an. So wurde Pats N8L die allererste nach Plänen gebaute S-1C. Das „C“ stand übrigens für „Continental“, weil Curtis davon ausging, dass die Leute einen O-200 mit 100 PS einbauen würden. Doch das taten nur wenige. Der Flieger war einfach wie geschaffen dafür, aufgemotzt zu werden, und letztlich wurde jeder Lycoming mit vier Zylindern an den Brandspant gehängt.
Kunstflug, wie wir ihn heute kennen, fasste auf internationaler Ebene in den sechziger Jahren richtig Fuß. Russen und Piloten aus anderen Ostblock-Ländern zeigten damals mit ihren Yaks und Zlins, welche negativen Manöver möglich waren. Für die frühe S-1C mit ihrem halbsymmetrischen M6-Profil war es schwierig, da mitzuhalten. An Flügeln mit vollsymmetrischem Profil führte kein Weg vorbei. Erneut musste Pat mit seiner N8L aushelfen und als Erprobungsträger für die neuen Flügel herhalten. Theoretisch wusste Curtis, was zu tun war, aber der Erstflug ernüchterte ihn: „Ich hab’s ein bisschen zu weit getrieben – das Ding machte Sachen, von denen ich nicht mal wusste, dass ein Flugzeug dazu überhaupt in der Lage ist. Das hat mir Angst eingejagt. Gleich nachdem ich wieder am Boden war, haben wir die Flügel weggerissen und vernichtet, um sicherzugehen, dass nicht irgendjemand sie an sein Flugzeug schraubt.“
Nach einigem Rumprobieren schuf Curtis das, was Viele als vollkommenste Einsitzer-Pitts betrachten: die S-1S, wobei „S“ für „symmetrisch“ steht. So gab es nun also zweierlei Specials: die Flatwing-S-1C und die Roundwing S-1S – Spitznamen, die bis heute überlebt haben. Normalerweise gibt man der oberen Tragfläche eines Doppeldeckers mehr Anstellwinkel als der unteren. Dadurch reißt oben die Strömung früher ab als unten, und wenn es passiert, sorgt der untere, noch tragende Flügel dafür, dass die Nase sauber runterkommt. Doch genau das ist im Rückenflug unerwünscht. Curtis’ Lösung bestand darin, den Tragflächen neben einem symmetrischen Profil auch den gleichen Anstellwinkel zu verpassen, der oberen Fläche aber ein Profil, das früher abreißt als das untere – im Normal- wie im Rückenflug. Durch den gleichen Anstellwinkel oben und unten war der Widerstand des Tragwerks nun deutlich geringer.
Das machte den Flieger viel schneller als einen traditionellen Doppeldecker, was in Verbindung mit größeren Motoren half, senkrecht länger steigen zu können. Kein Pilot wird je seinen ersten Start mit einer 180 PS starken S-1S vergessen. Gekrönt wurde der Erfolg des Musters auf der Kunstflug-Weltmeisterschaft 1972: Platz eins bei den Herren und bei den Damen, dazu Team-Gold für die USA. Ein Problem wurde nun allerdings immer deutlicher: Wie soll man eigentlich die ganzen negativen Figuren lernen? An doppelsitzigen Akro-Schulmaschinen gab’s nur die Citabria und die tschechische Zlin 526, die aber in Amerika praktisch nicht erhältlich war. In seiner typischen hemdsärmligen Art suchte Curtis eine Lösung und konstruierte einen Zweisitzer – ohne jedoch die Luftfahrtbehörde FAA auf dem Schirm zu haben, von der er die Zulassung brauchte, wenn sein neues Flugzeug in der Ausbildung eingesetzt werden sollte.
In Serie ging der Zweisitzer als S-2A mit dem 200 PS starken Lycoming IO-360-A1A und Constant-speed-Propeller
Ganz in Crop-Duster-Manier blieb er so entspannt wie möglich, aber diesmal schmeckte es ihm gar nicht, mit der Bürokratie zu tun zu haben. Er heuerte Gene Deering als Ingenieur an und mied die FAA, so gut er konnte. In Serie ging der Zweisitzer als S-2A mit dem 200 PS starken Lycoming IO-360-A1A und Constant-speed-Propeller. Das brachte zwar zusätzliches Gewicht auf die Waage, aber die S-2A war und ist immer noch eine äußerst leistungsfähige Maschine. Noch wichtiger: Sie führte zur Partnerschaft mit Herb Anderson und Doyle Child in Afton, Wyoming.
Rag hatte eine Menge Erfahrung im Bau von Flugzeugen mit bespannter Stahlrohrstruktur, während Doyle eine stillgelegte Fabrik für Schneemobile besaß. Und so gründete man die Firma Aero-Tec, bei der 1971 die Fertigung der S-2A aufgenommen wurde. Eine neue Pitts-Ära be-gann. Die Entwicklung des Unternehmens brachte im Pitts-Stammbaum einige Verästelungen hervor. Besitzer und Namen der Firma wechselten mehrmals, die aktuelle Inkarnation heißt Aviat Aircraft.
Text: Budd Davisson; Fotos: Budd Davisson, Courtesy of EAA; fliegermagazin 12/2015
- Aviat Aircraft, Washington/USA, www.aviataircraft.com
- 6,10 m
- 11,85 qm
- 5,41 m
- 1,96
- 524 kg
- 771 kg
- 110 l
- Lycoming AEIO-540/ 260 PS
- Hartzell, 3-Blatt, Composite, constant speed
- 300+ °/sec.
- ab ca. 300 000 Dollar (netto)
- Kunstflugzeug
- Pat Led
- Kunstflug-Weltmeisterschaft
- Flatwing-S-1C
- Roundwing S-1S
- symmetrisch
- Erprobungsträger
- vollsymmetrisches Profil
- M6-Profil
- Lycoming O-200
- S-2A
- 125-PS-Lycoming
- Kunstflugmeisterschaft
- US-Kunstflugmeisterschaft
- Little Stinker
- Miami All American Air Maneuvers
- Agilität
- Rückenflugsystem
- Continental C-85
- Model 12
- M-14P-Sternmotor
- gefedertes Fahrwerk
- Gene Deering
- Betty Skelton
- Aviat Aircraft
- Rückenflug
- Flügelprofil
- Konstrukteure
- PTS2
- kunstflugtauglich
- Akro-Doppeldecker
- Akro
- Pitts Special
- Kunstflugdoppeldecker
- Airshow
- Zulassung
- Doppeldecker
- Kunstflug
- oldtimer
- Curtis Pitts
- Mini-Doppeldecker
- Gummizug-Federung
- 90-PS-Franklin-Motor
- 55-PS-Motor
- Taylorcraft
- Lycoming O-145
- Special
- S-2C
- Curtis
- Curtis Pitts S-2C