Giles G-202 von Composites Unlimited: George und seine Giles
Wenn sich ein ehemaliger Navy-Pilot einen Traum erfüllt, denkt man erstmal an einen ausgemusterten Kampfjet. Georg Inskeep dagegen hat sich ein rassiges Kunstflugzeug, die Giles G-202 von Composites Unlimited, gebaut. Trotz seiner langjährigen Erfahrung wurde das Projekt auch fliegerisch zur Herausforderung
Quadrate. Diese verdammten Quadrate! George Inskeep, 68, hat sich schon mit ganz anderen Problemen herumschlagen müssen. Aber dass sich nun diese kleinen blauen Quadrate auf seinem Kunstflugzeug Giles G-202 von Composites Unlimited auch nach der zweiten Komplettlackierung des Flugzeuges wieder ablösen, treibt ihn fast in den Wahnsinn. Das war das saure Sahnehäubchen der weit über 3500 Stunden dauernden Bauphase.
Ein Bausatzflugzeug für Kunstflug
Alles dreht sich jetzt nur noch um die Quadrate und den Farbenhändler, der ihm zu diesem umweltverträglichen Lack auf Wasserbasis geraten hatte. Zum Teufel mit der Umweltverträglichkeit! George schleift nun zum dritten Mal die gesamte Farbe von der Giles inklusive der Grundierung runter und nimmt einen altbewährten Lack auf Lösemittelbasis. Nun bleiben endlich auch die überlackierten Quadrate haften, und er kann sich auf den Erstflug mit seinem Kitplane konzentrieren. „Nach sechs Jahren Bauzeit wurde es auch Zeit“, sagt der ehemalige Navy-Pilot.
Die Probleme, die er mit dem Bausatz der Giles G-202 hatte, waren gewaltig. Da hat fast nichts auf Anhieb gepasst, viele Teile mussten nachgearbeitet oder gar umkonstruiert werden. Verlockend war für George von Anfang an die außergewöhnliche Performance der Giles. Sie dürfte das einzige Akro-Bausatzflugzeug sein, das auch auf internationalem Wettbewerbsniveau mitmischen kann. Pitts und Christen Eagle gibt es zwar weiterhin als Kit zu kaufen aber einen Blumentopf kann man damit nicht mehr gewinnen. Die Produktion des 202-Bausatzes wurde nach etwa 15 Stück eingestellt. Composites Unlimited verkaufte die Rechte an Mudry Aviation in Frankreich. Die entwickelten die 202 zur Cap 222 weiter und brachten die Maschine als schlüsselfertiges Flugzeug in Konkurrenz zur zweisitzigen Extra auf den Markt.
Der Ehrlichkeit halber muss man zugeben, dass George Inskeep gar keine Wettbewerbe fliegt, sondern eher gemütlich über den Weinbergen des Napa Valley in Kalifornien herumturnt. Aber warum sollte der Mann, der in seinem Leben noch nie halbe Sachen gemacht hat, gerade bei diesem Projekt einen Kompromiss eingehen?
Viele kleine Kniffe helfen, aus dem Zweisitzer einen Top-Performer zu machen
Zurück zu den blauen Quadraten. Beim Bau des Turngeräts war die Hilfe zahlreicher Kollegen aus der Selbstbauer-Szene sehr willkommen. Unter anderem Herb Ross – ein Urgestein in der Aerobatic-Kitplane-Szene. Der zeigte George die kleinen Kniffe, um die Giles zu einem Top-Performer zu machen. Zum Beispiel die aufgedickte scharfe Kante an den Endleisten von Höhen und Seitenruder. Sieht komisch aus, trotz ungewöhnlicher Optik macht die Modifikation aber Sinn: Die Wirkung der Ruder sowie ihre Zentrierung in Nullstellung verbessert sich durch diesen Trick.
Oder der Kniff mit der Trimmung: Die Anlenkung wurde leicht modifiziert, um die Höhenruderkräfte indirekt zu verstärken und an die des Querruders anzugleichen.
Der Holmkasten war schon ab Werk im Rumpf verklebt, allerdings nicht hundertprozentig an der richtigen Stelle. Nachdem George die beiden Flächen montiert hatte, die wie bei einem Segelflugzeug mit zwei Hauptbolzen verschraubt werden, musste noch der Abstand zwischen den Flächenspitzen (an der Hinterkante) und dem Seitenleitwerk vermessen werden. Dabei ergab sich eine Differenz von zwei Zentimetern pro Seite. Das zu korrigieren kostete viel Mühe und Arbeit. Auch der vordere Rumpfspant, der nicht nur als wichtiges tragendes Element dient, sondern auch den vorderen Sitz aufnimmt, passte nicht und musste komplett umgearbeitet werden.
Der GFK-Rumpf des Kunstflugzeugs offenbart seine Tücken
Ein anderes Problem offenbarte sich nach den ersten Testflügen: die Bodenfreiheit des Props wurde von Landung zu Landung geringer, die Fahrwerksbeine standen jedes Mal irgendwie flacher als vorher. Die Bolzen, die die Fahrwerksbeine mit dem Rumpfspant verbinden, hatten sich tief in den GFK-Rumpf hineingearbeitet. George implantierte eine riesige Aluplatte zwischen Fahrwerksbeinen und Rumpfspant – und bekam das Problem auf diese Weise in den Griff.
Dabei gilt der Hersteller des Bausatzes, Composites Unlimited aus Scappoose in Oregon, als erfahrener Betrieb, der schon ganz andere, sehr hochwertige Kits auf den Markt gebracht hat. Vielleicht lag’s auch am Konstrukteur Richard Giles, der zwar ein Meister seines Faches ist, aber nicht die Erfahrung beim Umsetzen einer Konstruktion in einen Bausatz hatte.
Die G-202, die von Giles aus der einsitzigen G-200 Anfang der neunziger Jahre entwickelt und damals von seiner Firma Akrotech verbewerben auf Anhieb den etablierten Aerobatic- Maschinen Paroli bieten. Selbst mit dem schwächeren Vierzylinder-Lycoming stand sie in puncto Steigleistung den stärker motorisierten Sukhois und Extras in nichts nach.
Aus 220 Knoten senkrecht nach oben – so ist die Giles im Nu auf über 3000 Fuß
Wenn George seine Giles aus der Vmax von 220 Knoten heraus senkrecht nach oben zieht, bringt er sie in kürzester Zeit auf über 3000 Fuß. Der Kalifornier hat allerdings einige kleine Modifikationen einfließen lassen, die seine 202 etwas schneller machen als die der anderen Mitstreiter. Da sind zum Beispiel die selbstgebauten Verkleidungen an den Fahrwerk-Rumpfübergängen. Auch die Faring vor dem Heckspornrad, die sich vor kurzem bei einer Landung davon machte, erhöhte die Reisegeschwindigkeit um einen Knoten. Den größten Leistungszuwachs bringt der modifizierte Lycoming IO-360 von Monty Barrett aus Tulsa, Oklahoma. Barrett hat in seiner Firma Zylinderköpfe mit verändertem Ventilwinkel enwickelt. Bei den Serienköpfen stehen die Ventile nahezu senkrecht (bezogen auf die Achse der Zylinderbohrung). Dieser Trick mit den schräg gestellten Ventilen ermöglicht eine bessere Füllung, sprich schnellere Gaswechsel und damit einen Zuwachs an Leistung und Effizienz.
Die Kompression ist auf 10:1 erhöht, und die Pleuellager fallen größer aus als beim Serien-Lycoming. 216 PS zeigte der Prüfstand an, auf dem Inskeeps Triebwerk getestet wurde. Das sind 16 Pferde mehr, als der Serienmotor bietet.
Barrett-Motor und Hartzell-Propeller fordern ihren Preis
Der Nachteil beim Barrett-Motor mit den größeren Zylinderköpfen ist der leicht erhöhte Platzbedarf unter der Cowling. Für George, inzwischen ein Meister im Umgang mit Kunstharzen und Kohlefaserbauweise, war es aber kein Problem, die Motorhaube entsprechend anzupassen.
Der Propeller von Hartzell ist ebenfalls aus Kohlefaser gefertigt. Nur sechs Stück wurden von diesem sehr leichten und effektiven Quirl gebaut. Wahrscheinlich hat der Preis von 22 000 US-Dollar weitere Kunden abgeschreckt.
Testpilot Len Fox justiert die Querruder neu
Im September 2002 ging die Inskeep-Giles zum ersten Mal in die Luft. Testpilot Len Fox, der sonst bei Lancair schnelle Maschinen probefliegt, machte die ersten drei Starts. Als einziges Problem offenbarten sich die Querruder, deren Reaktion ungewöhnlich ausfiel: Drückte man den Knüppel zur Seite, verabschiedete sich der Steuerdruck nach 50 Prozent Ruderweg vollständig. Die Wirkung übrigens auch. Es fühlte sich an, als würde man mit dem Querruder in einem luftleeren Raum herumrühren. Len war dieses Phänomen schon mehrfach begegnet. Er justierte die Anlenkpunkte der Querruder neu und beseitigte so das Problem – offenbar lag nun die Strömung auch bei größeren Ausschlägen sauber an.
Danach nahm Len Fox George ans fliegerische Händchen und machte ihn mit der 202 vertraut. Besonders heikel: die Landung. „Mann, war das eine Herausforderung“, gibt der Vietnam-Veteran unumwunden zu. Und George ist als ehemaliger Airline- und Militärpilot (auch auf Flugzeugträgern) nicht gerade ein Amateur. Seine Erfahrung auf Pitts und anderen anspruchsvollen Taildraggern war hilfreich, aber die Giles bewegt sich eben doch in einer anderen Liga. Zuschauer – und davon gibt’s am Flugplatz Sonoma Skypark immer genug – hatten anfangs viel zu gucken, wenn George mit seiner Giles Landungen übte. Irgendwann kam dann einer der vielen Zaungäste auf ihn zu und meinte: „Es gibt hier jetzt gar nichts Besonderes mehr zu sehen, deine Landungen sehen alle zu gut aus.“
Angle-of-Attack-Indicator für die perfekte Landung
Vielleicht hat ihm auch sein Angle-of-Attack-Indicator geholfen. Ja: Sowas hat sich George tatsächlich in die Giles eingebaut – wie er gesteht vor allem aus nostalgischen Gründen in Erinnernung an seine Zeit bei der Navy. Dort ist das Instrument, das den Anstellwinkel anzeigt, zur präzisen Landung auf Flugzeugträgern unerlässlich. Auf der langen Bahn in Sonoma Skypark braucht man das Instrument allerdings kaum, gibt George zu, aber damit kann er seine Landungen noch weiter perfektionieren – so, wie er auch die Lackierung mit den blauen Quadraten perfektioniert hat.
Text und Fotos: Cornelius Braun, fliegermagazin 02/2009
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