Fokker-E.III-Nachbau
Jürgen Weller betreibt den ersten flugfähigen Fokker-E.III-Nachbau in Deutschland als Ultraleichtflugzeug, aber in Originalgröße
Hart pfeift der Propellerstrahl um die Pilotenhaube, und beim Sitzkomfort denkt man an Haltungsschäden. Echte Fans sagen: Gerade deshalb! Wie Jürgen Weller, der den ersten flugfähigen Fokker-E.III-Nachbau in Deutschland betreibt. Als UL, aber in Originalgröße.
Speichenräder, Spanntürme und -seile, Sternmotor, eine MG-Attrappe – wenn Jürgen Weller die Tore seiner Halle beiseite schiebt, kommt ein ausladend großes Gebilde zum Vorschein. Das soll ein Luftsportgerät sein?
Zum gemütlichen Sportfliegen wurde der Fokker E.III einst nicht konstruiert. Nebenbei: Es heißt „der Fokker“, nicht „die Fokker“, denn deutsche und österreichische Militärflugzeuge des Ersten Weltkriegs wurden gemeinhin maskulin benannt. Er sollte jagen, kämpfen, den Gegner auskurven – und im Idealfall per Abschuss zur Strecke bringen. Ein tödliches Arbeitsgerät also, nüchtern betrachtet. Wendigkeit stand bei solchen Flugmaschinen im Vordergrund, nicht dynamische Stabilität – die Piloten waren vollauf beschäftigt. Von Flugvergnügen nach heutigen Maßstäben konnte nicht die Rede sein.
Ein Jahrhundert später freut sich Jürgen trotzdem jedesmal, wenn er zum Flugplatz Weckrieden fährt: Nach acht Jahren Bauzeit hat er im Mai 2015 endlich, was er wollte: die ultraleichte Neuauflage des berühmt-berüchtigten Fokker-Eindeckers. So ziemlich alles, was diesen quirligen „Kampfeinsitzer“ damals auszeichnete, findet sich heute im UL-Nachbau wieder – auch wenn Oldie-Puristen sogleich auf die zwei größten Kompromisse hinweisen werden: Querruder statt Flügelverwindung und ein siebenzylindriger Rotec R2800 anstelle des Oberursel-Rotationsmotors U I, der zwei Zylinder mehr und zehn PS weniger hat.
Der Fokker E.III hat im original verwindungsfähige Tragflächen
Bei verwindungsfähigen Tragflächen wurden die Rippen nicht mit den hölzernen Hauptholmen verleimt, sondern nur draufgeschoben und mit Stoffbändern oder Klötzen fixiert. So blieben die Flügel torsionslabil. Beim E.III-Original sind die Umlenkrollen und -hebel für die Seile der Flügelverwindung am oberen und unteren Spannturm montiert. Die gesamte Verspannung der hinteren Hauptholme hängt an diesem beweglichen System, lediglich die Seile an den vorderen Holmen ergeben einen starren Verbund. Im UL-Fokker hat man den Mechanismus optisch weitgehend beibehalten – nur führt eben das Seil, das am oberen Spannturm über eine Rolle läuft, zu den Querrudern.
Sowohl Flügelverwindung als auch Umlaufmotoren sind Konzepte von vorgestern. „Wer ein Fluggerät aus dieser Epoche nachbauen will“, sagt Jürgen, „muss sich als erstes nach einem passenden Triebwerk umschauen. Sonst kann er’s gleich lassen.“ Ein hundert Jahre alter Oberursel oder Gnôme kam nicht in Frage. Die Laufzeit dieser seltenen Ölschleudern darf man in Minuten zählen. Wer auf ein paar sorgenfreie Flugstunden pro Jahr kommen will, ist mit dem R2800 besser bedient. Zurecht wirbt Rotec Aerosport damit, der „Sternmotor-Romantik von gestern“ nachzuspüren.
Romantik? Bei einem MG-bewehrten Jagdflugzeug? Wenn sich Jürgen ins Cockpit seines Fokkers klemmt, erinnert ihn eine martialische Attrappe aus Alublech daran, wofür der E.III einst gedacht war. Doch die Kopie des synchronisiert durch den Propellerkreis feuernden LMG. 08/15 Spandau (siehe Seite 94) „gehört historisch nun mal dazu“, sagt der Pilot achselzuckend.
Beim Bau bekam Jürgen Weller Unterstützung von Roman Weller
Alles, was handwerklich im Rahmen seiner Möglichkeiten lag, hat der Berufsfotograf beim Nachbau selbst erledigt. Doch ohne Roman Weller, der im Schwäbisch Haller Vorort Bibersfeld seinen kleinen Flugzeugbau betreibt und mit Jürgen nicht verwandt ist, hätte der 53-Jährige die Sache gar nicht erst angepackt. Als dort vor bald einem Jahrzehnt der Auftrag zum Bau zweier Fokker A.I-Rümpfe eintraf, bestellte Jürgen einen dritten gleich mit. Zwischen dem Aufklärer A.I/M.5 und dem Jäger E.III/M.14 bestehen nur geringe Unterschiede.
Wie machen wir aus dem alten Jäger ein brauchbares Alltags-UL für heutige Flugplatzverhältnisse? – Das war die Frage, die sich die beiden Wellers stellten. Eine maßstäbliche Verkleinerung schied von vorn herein aus. Doch das machte die Gewichtsreduzierung umso schwieriger: Das Original wog leer knapp 400 Kilo, bei einem einsitzigen UL dürfen es maximal 217,5 Kilo sein – ein unerreichbarer Wert! Bei Zweisitzern sind jedoch 80 Kilo mehr erlaubt. Und so wurde der ultraleichte E.III zum Doppelsitzer: Hinterm Cockpit, wo im Original der Tank untergebracht ist, findet sich der spartanische „Passagier“-Sitz. Auch vom Original gab es zweisitzige Varianten, etwa die Aufklärer. Das half bei der Einweisung aufs Flugzeug, aber auch bei Übungen in der Handhabung des Spandau-MGs.
Damit das Konzept aufgehen konnte, mussten vorab noch zwei Experten ins Boot geholt werden: OUV-Veteran und -Gutachter Otto Bartsch, der immer ein offenes Ohr hat für originelle Projekte, und Bauprüfer Achim Merklinger, mit dem Roman schon oft zusammengearbeitet hat. Achim sollte der Testpilot für die UL-E.III werden.
Man einigte sich auf nahezu unsichtbare Modifikationen, die das Leergewicht minimieren und zur Betriebssicherheit beitragen, ohne den authentischen Gesamteindruck zu verunstalten. So stecken in den Flügeln Alu-Rohrholme mit Sperrholzrippen – die „moderne“ Struktur verschwindet ohnehin unter der Bespannung. Ein schlankes Göttingen-343-Profil kommt dem E.III-Original recht nahe, bietet aber etwas mehr Bauhöhe. Dadurch konnte vor allem der hintere der beiden Hauptholme besser untergebracht werden.
Der Fokker E.III bekam einen anderen Motor und ein Rettungssystem
Der 108 Kilo schwere Rotec erfordert freilich einen ganz anders konstruierten Motorträger als ein Umlaufmotor, der an seiner Kurbelwelle montiert wurde. Für den Tank fand sich Platz zwischen Brandspant und Instrumentenbrett. Das Rettungssystem wurde weiter hinten im Rumpf versteckt. Roman: „Am Rumpf konnten wir vorn die Rohrdurchmesser etwas verringern und so Gewicht sparen. Das Original ist hier überdimensioniert.“ Anders dagegen das statisch bedenkliche Pendel-Höhenleitwerk. Es ist nun geteilt und die Aufhängung am Rumpf unauffällig verstärkt. Die Ruderflächen werden auf eine hochfeste, in Bronzebuchsen gelagerte Achse gesteckt und verschraubt. Roman: „Das hält! Und es schaut auch nicht anders aus als damals.“
Der Belastungstest war im Herbst 2011 dran, also: Sandsäcke auf Trag- und Leitwerk stapeln und scharf hinhören. Danach durfte Jürgen seinen Jäger in Ceconite verpacken. Der Decklack, ein helles Elfenbein, imitiert das klarlackierte Rohleinen des Originals. Auf dem Rumpf der D-MWCJ steht die Chiffre „422/15“, so etwas wie eine Bestellnummer, die der Auftraggeber, also die Fliegertruppe, an die jeweiligen Hersteller vergab. Ein Fokker E.III mit diesem Kürzel existierte tatsächlich.
Es dauerte bis zum Frühjahr 2015, ehe Jürgen die sperrigen Komponten in eine Halle am Flugplatz Weckrieden verfrachten und dort aufmontieren konnte. Als Flügel und Steuerung eingestellt waren, folgten Wägung und Schwerpunktermittlung.
Nach dem Erstflug mussten ein paar Anpassungen getätigt werden
Schon nach zwei Starts war Achim Merklinger so weit, den ultraleichten Eindecker in Jürgens Hände zu geben. Bei dessen ersten E.III-Flügen zeigte sich, dass der Propellerstrahl derart heftig auf die Alu-Motorverkleidung drückte, dass winzige Risse in der Wölbung entstanden. Gelöst wurde das Problem durch einen Unterbau aus Alurohren, der die Innenseite verstärkt. Außerdem musste man die Querruder-Ausschläge vergrößern. Das war alles.
Wenn Jürgen heute seinen voluminösen E.III aus dem Hangar rollt, braucht er sich um Helfer nicht zu sorgen. Die laufen meist schnell zusammen und packen gern mit an. Es dauert ein Weilchen, bis der zivilisierte Jäger flugklar ist, vor allem weil die Brennräume der unteren Sternmotor-Zylinder vom Öl des letzten Flugs unbedingt befreit werden müssen.
Der Fokker E.III hat keine Radbremsen
Beim fliegermagazin-Termin im Sommer 2016 springt der Rotec brav an. Während er warmläuft, liegen Bremsklötze vor den Rädern, die ein Helfer später wegziehen muss – Radbremsen gibt es nicht. Der hölzerne Schleifsporn mit Stahlkralle greift wie ein Anker in den Erdboden; dadurch ist der Flugbetrieb auf Grasbahnen beschränkt. Mit einem Spritzer Gas und Anlupfen des Leitwerks lässt sich die Maschine problemlos in die gewünschte Richtung bugsieren.
Heute wie damals empfiehlt sich bei Start und Landung Wind von vorn. Kommt er von der Seite, braucht bei der kurzen Rollstrecke die Pistenachse auch nicht ganz exakt eingehalten zu werden. Schon nach rund 60 Metern zerrt der Rotec das UL bei 55 km/h vom Boden. Bei 70 geht es mit stattlichen vier Metern pro Sekunde aufwärts.
Der Fokker braucht keine Trimmung
Trimmung? Gibt’s nicht und braucht man auch nicht. Dreht der Motor mit 2500 rpm, pendelt sich die Fahrt bei 100 km/h ein; das entspricht etwa dem Original. Die Steuerdrücke, berichtet der Pilot, seien angenehm, und wer koordiniert fliegen könne, mache beim Kurvenwechsel nichts falsch. Bei größerer Schräglage helfe Abstützen mit dem Querruder. Der neue E.III ist ein agiles Flugzeug mit passabler Rollrate – sofern man ordentlich ins etwas klein geratene Seitenruder tritt.
Das sensible Höhenruder braucht dagegen eine ruhige Hand. „Noch habe ich nicht alles ausprobiert …“, deutet Jürgen an. Aber er weiß bereits, dass es beim simulierten Motorausfall steil bergab geht. Bewährt hat sich ein flacher Anflug mit 100 km/h und Schleppgas. Nach dem Ausrunden heißt es abwarten – von der Piste ist in dieser Phase nicht mehr viel zu sehen. Die Gummiseilfederung schluckt moderate Aufschläge. Wenn die Speichenräder sicher am Boden sind, hält man das Leitwerk auf den nächsten Metern noch in der Luft. Sobald auch der Sporn aufgesetzt hat, sorgt dessen Bremswirkung für kurzes Ausrollen.
Der Fokker E.III ist Überland-tauglich
Den ersten Überlandflug mit dem E.III-Nachbau hat Jürgen im September vergangenen Jahres zum Oldtimer-Treffen auf der Hahnweide gemacht, ganze 80 Kilometer Luftlinie in 45 Minuten. Sein persönliches Highlight war die Formation mit Mikael Carlsons Fokker-Dreidecker am Samstagabend, kurz vor Sunset. Es sind solche prägenden Flüge, die einem Piloten über die kalte Jahreszeit helfen können.
Im Bordbuch stehen jetzt knapp 30 Flugstunden. Mit Blick auf die endgültige Verkehrszulassung werden es mehr, sobald im Frühjahr die Temperaturen steigen. Angepeiltes Ziel für 2017: die unvermeidliche Lärmmessung. Sowas hat 1915 niemanden interessiert.
Die „Fokker-Plage“
Anthony Fokkers Erstling, die Spinne, brachte „den Fliegenden Holländer“ 1913 ins Geschäft mit der preußischen Fliegertruppe. Ein großer Entwicklungsschritt gelang ihm mit dem kunstflugtauglichen Eindecker M.5, der Anfang 1914 herauskam und von der Morane-Saulnier H inspiriert worden war. Berühmt wurden die bewaffneten Versionen (siehe Seite 94). Mit dem E.I begann die Erfolgsgeschichte des Unternehmens, die „Fokker-Plage“, wie die Alliierten sagten.
Vom Typ E.III wurden 258 Stück gefertigt, ein Original (210/16) ist im Londoner Science Museum zu sehen. Wahre Wunderdinge sind bis heute über den Fokker-Eindecker im Umlauf, vor allem, wenn es um die Wendigkeit geht. Doch der bekannte „Immelmann Turn“ dürfte weniger seinem Namensgeber zuzuschreiben sein, sondern eher dem brachialen Drehmoment des neunzylindrigen Oberursel und dessen mächtigem Propeller. Wenn beim Aufschwung die Fluggeschwindigkeit und Querstabilität drastisch abnahmen, kurbelte der rasende Motor den leichten Apparat irgendwann um die Längsachse – wenn auch nur in eine Richtung. Jagdflieger Max Immelmann (1890 – 1916) hatte sich diese Eigenschaft offenbar zunutze gemacht.
Text: Stefan Bartmann, Fotos: Jürgen Weller, Stefan Bartmann fliegermagazin 02/2017
- D-MWCJ
- 9,52 m
- 16,00 m2
- 7,20 m
- 2,40 m
- 295 kg
- 472,5 kg
- 80 l
- Rotec R2800, 4-Takt, Siebenzylinder, luftgekühlt, Planetengetriebe 3:2 / 110 PS bei 3500 rpm
- Weller, 2-Blatt, Holz, fest, 2,10 Meter
- 60m
- 60m
- 4,5 m/sec
- ca. 320 km plus 30 Min. Reserve
- ca. 55 km/h
- 110 km/h
- 70 km/h
- 110 km/h
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