Flugzeugreportage: Zivko Edge 540
Im Red Bull Air Race haben vorige Saison 9 von 14 Piloten eine Edge 540 geflogen – das Muster gilt als Maß der Dinge. Doch eigentlich kommt es aus dem Kunstflug. Wir haben uns die Maschine von Akro- und Rennpilot Matthias Dolderer angesehen
Sehen sie nicht alle irgendwie gleich aus? Extra 330, MXS, XA41, CAP 232, Votec 351 … Gut, es sind Tief- und Mitteldecker, aber so gewaltig sind die Unterschiede auf den ersten Blick nicht. Su-31 mit Sternmotor oder Kunstflug-Doppeldecker – das ist schon was anderes. Spricht man mit Matthias Dolderer über die beiden Edge, die ihm gehören, erscheinen die Unterschiede manchmal so groß wie zwischen den Mustern verschiedener Hersteller. Es sind Flugzeuge für zweierlei Welten: Kunstflug und Rennen. Air Races hatte Bill Zivko überhaupt nicht im Sinn, als er sich in den späten achtziger Jahren dem Kunstflug zuwandte. Der Amerikaner war Jim Bede dabei behilflich gewesen, dessen Minijet Bd-5J zu bauen, und über Bede lernte er den Kunstflugpiloten Leo Loudenslager kennen. Loudenslager, der die Bd-5J im „Bud Lite Air Force“-Team flog, war sieben Mal US-Kunstflugmeister und 1980 Weltmeister.
Doch sein Laser 200 wurde langsam von anderen Mustern überflügelt. Die Schwachstelle war der Holzflügel und Bill Zivko der Mann, der dem Laser ein Composite-Tragwerk verpasste. Zuvor hatte er für Burt Rutan (Scaled Composites) als Leiter der Kunststoff-Abteilung gearbeitet, das Beech-Starship-Projekt kam seinerzeit in Gang – bessere Voraussetzungen konnte es nicht geben für die Entwicklung und den Bau eines Kunststoff-Flügels, der eine Akro-Maschine nach vorn bringt. Bei 12 g war der Holzflügel des Laser 200 am Ende. Damit fühlten sich Kunstflugpiloten nicht mehr wohl – 10 g wurden schon mal gezogen, die Reserven galten als zu gering. Zivko wusste, dass die Zukunft faserverstärktem Kunststoff gehörte. 1988 hatte er mit seiner Frau Judy die Firma Zivko Aeronautics gegründet, um Kunststoffteile für die Luftfahrt zu entwickeln und herzustellen.
Wenig Nebenwirkung: Das Seitenruder hat unten viel Fläche – so ist das Rollmoment am kleinsten
Es gab Kunden aus der Industrie, wie etwa Aurora Flight Sciences, deren unbemanntes Höhenforschungsflugzeug Perseus B bei Zivko entstand, aber auch Privatleute, die spezielle Teile wollten. Als der Composite-Flügel für den Laser fertig war, belastete der Erbauer ihn mit 20 g. Dabei bog er sich nur um zehn Zentimeter durch. Und er war auch noch zwölf Kilo leichter als die Holz-Fläche. Zahlreiche Laser-Besitzer modifizierten ihre Maschine mit dem Edge ZA-1, wie der neue Flügel hieß. Zivko produzierte immer mehr Teile, für den Laser, der durch den Composite-Flügel eine Sprung nach vorn machte. Das Flugzeug hieß jetzt Edge 360, ausgerüstet mit einem 200 PS leistenden Lycoming O-360. Der nächste Schritt betraf den Rumpf. Man trug alles zusammen, was an Schwachpunkten bekannt war, sowohl beim Laser als auch bei dessen Vorgänger Stephens Akro (der Mutter aller modernen Kunstflug-Eindecker), und konstruierte einen neuen Stahlrohr-Verbund.
Dabei war schon eine stärke Motorisierung angedacht, denn inzwischen hatte die Konkurrenz von Extra und Sukhoi mehr Power. Es war nur logisch, den Vierzylinder durch einen Sechszylinder zu ersetzen. Mit Lycoming IO-540 erhielt die Maschine 1993 ihren heutigen Namen: Edge 540. Seither flossen zahlreiche Verbesserungen in die Konstruktion ein. So wurde beispielsweise das Höhen- und Seitenleitwerk, das wie beim Laser doppelt verspannt war, durch ein unverspanntes, vollständig aus Kunststoff gefertigtes Leitwerk ersetzt. Die Leistungsangaben für das Muster schwanken. Je nach Version und Tuning bringt der IO-540 zwischen 235 und knapp 400 PS. Matthias Dolderers Kunstflug-Maschine hat einen von Ly-Con Aircraft Engines getunten, 11:1 verdichteten AEIO-540 mit rund 380 PS.
Sein Rennflugzeug, die Version V3, ist mit dem Lycoming-Thunderbolt-Einheitsmotor des Typs AEIO-540-EXP ausgerüstet, der 300 PS leistet und den vorgeschriebenen Hartzell-Propeller antreibt; auf dem Kunstflieger ist ein MT-Prop montiert. Da stellt sich natürlich die Frage nach der Performance: „Die Kunstflug-Edge“, sagt der Deutsche Meister von 2008, „geht in Meereshöhe zirka 210 Knoten, der Rennflieger 220.“ 80 PS mehr, aber 10 Knoten langsamer mit dem selben Muster? Am Gewicht kann’s nicht liegen: Beide Maschinen wiegen zirka 550 Kilogramm. Entscheidend ist die Aerodynamik, und das heißt vor allem: der Luftwiderstand. Schon auf den ersten Blick fällt bei der V3 die schnittigere und flachere Kabinenhaube auf. Der hintere Rumpfrücken, das „turtledeck“, ist entsprechend angepasst. Die Kunstflugmaschine hat mehr Propellerfreiheit, ihre Beine sind länger und die Radschuhe kürzer.
Darin verstecken sich Cleveland-Bremsen; beim Racer stammen sie von Beringer. „Die wiegen halb so viel, und die Wirkung ist besser“, erzählt Matthias. Die Unterschiede bei den Motorverkleidungen sind markant, sogar den Querschnitt am Brandspant hat man beim Racer geändert. Dessen Cowling ist windschlüpfriger. Den rohrförmigen Einlass für die Ansaugluft, der sich im Renneinsatz bewährt hat, findet man auch bei der Akro-Cowling, samt Öffnung für Alternate Air. Unten ragt aus beiden Verkleidungen das Endrohr der leichten Sechs-in-eins-Auspuffanlage von Sky Dynamics, die aus der Nickel-Chrom-Legierung Inconel gefertigt ist. Während bei der Original-Edge die Flügelenden „abgeschnitten“ sind, fliegt Matthias Dolderer seine Kunstflugmaschine derzeit mit den von Streifeneder gefertigten Wingtips der Renn-Edge. Diese wiederum erhielt Winglets.
Die Kunstflugmaschine fliegt mit Wingtips
An der Flügelwurzel unterscheiden sich die Übergänge zum Rumpf: breite beim Racer, am Rumpf verschraubt und am Flügel mit Tape abgeklebt, überhaupt keine beim Turngerät. Kaum erkennbar ist der schmalere Querruderspalt bei der Rennmaschine – „wenn da ein Sandkorn drin ist, kratzt es schon“, sagt Matthias. Die Querruder sind zwar riesig, reichen aber nicht bis zum Rumpf. So beeinflussen Ruderausschläge nicht die Strömung am Höhenleitwerk. Weder dort noch am Seitenleitwerk sind Unterschiede zwischen den beiden Flugzeugen erkennbar.Am Rumpf der Akro-Edge fallen unterm Flügel die seitlichen Fenster auf, durch die der Pilot seine Fluglage besser kontrollieren kann. Bei Rennen braucht man so etwas nicht. Zwei Handbreit hinter den Fenstern ist der Leitwerksträger bespannt, ein gängiges Merkmal bei Kunstflugzeugen mit Stahlrohrrumpf – auch Extra bespannt seine Rümpfe in diesem Bereich.
Das spart Gewicht. Aber widerstandstechnisch ist es nicht optimal: Tuch vibriert und verformt sich, eine Composite-Verkleidung kaum, deshalb ist der Edge-Rennrumpf komplett CfK-verschalt. Willkommener Nebeneffekt: So kann man die Rumpfstruktur vollständig freilegen, was die Kontrolle der „Innereien“ und Arbeiten an ihnen erleichtert. Wie weit der Widerstandwahnsinn geht, wird deutlich, wenn man sich dem Cockpit nähert: Beim Rennflugzeug verschwindet die Haubenverriegelung in der Außenkontur, bei der Akro-Maschine wird ein Griff im Fahrtwind hingenommen. Hier liest der Pilot Geschwindigkeit und Höhe auf Uhren ab, im Rennflieger ist alles digital. „Das spart Gewicht und kostet nicht so viel Platz“, sagt der Edge-Besitzer. Beide Maschinen haben Rumpftanks mit 72 Liter Fassungsvermögen, beim Racer ist der Headertank aber im Rumpftank integriert, während der kleine Sammeltank beim Akroflieger zwischen den Füßen sitzt – dort, wo die Rennmaschine einen Smoke-Tank hat.
Auch bei den Flächentanks gibt’s Unterschiede: serienmäßig beträgt die Kapazität zweimal 80 Liter, beim Racer ist sie auf zweimal 42 verkleinert. Dabei sind Flächentanks für beide Einsatzbereiche überflüssig: je weniger Masse in den Flügeln, desto höher die Rollrate; außerdem sind die Schwallwände in den Flächentanks nicht für starke Querbeschleunigungen des Sprits ausgelegt. Möglichst wenig Masse, möglichst viel Power – in dieser Hinsicht ist die Edge 540 spitze: Ihr Leistungsgewicht beträgt leer nur 1,45 Kilogramm pro PS. Die Extra 330SC, die aus Matthias’ Sicht das am besten abgestimmte Muster für klassischen Aresti-Kunstflug ist, kommt auf 1,86 Kilo pro PS. Trotzdem ist die Edge auch zum Geradeausfliegen geeignet – wenn’s sein muss, kann man mit ihr auch schnell mal irgendwo hindüsen. Dabei schätzt Matthias die mögliche Endurance sehr: „Ich bin schon nonstop von Neapel nach Tannheim geflogen oder von Tannheim nach Belgrad, beidesmal in zweieinhalb Stunden.“
All die Tüfteleien, ob für den Kunstflug- oder den Renneinsatz, sind natürlich nur möglich, weil die Edge als Experimental zugelassen ist. Die Flugzeuge von Extra oder XtremeAir sind musterzugelassen – da darf nichts verändert werden. Dafür kann man musterzugelassene Maschinen in der Kunstflugausbildung einsetzen, und der Flugbetrieb mit ihnen ist einfacher. So braucht Matthias immer eine Einflugerlaubnis, wenn’s mit der Edge in ein anderes Land geht. Doch das nimmt er in Kauf: „Bei der Instandhaltung ist der bürokratische Aufwand viel kleiner; zum Beispiel gibt es keine CAMO. Das Geld, das man da verbläst, stecken wir lieber in die Qualität des Fliegers.“
„Der Weg zum Air Race führt über den Kunstflug“
Kunstflugwettbewerbe stehen dieses Jahr nicht auf dem Programm des Tannheimers. Sein Air-Race-Kalender lässt ihm dafür keine Zeit. Trotzdem ist er davon überzeugt, dass die Rennen den Kunstflug nicht abwerten, im Gegenteil: „Der Weg zum Air Race führt über den Kunstflug. Da kommen wir alle her. Viele Piloten wollen Rennen fliegen, das beflügelt den Kunstflug.“ Umso besser, wenn man für beide Bühnen das richtige Instrument hat.
Fotos: Cornelius Braun; fliegermagazin 3/2015
- Zivko Aeronautics Inc., 502 Airport Road, Bldg. 6, Guthrie, OK 73044 USA, www.zivko.com
- 7,42 m
- 9,11 qm
- 6,30 m
- 2,86 m
- 550 kg
- 816 kg (im Kunstflug 703 kg)
- 232 l
- Lycoming IO-540/ 340 PS
- Hartzell HC-C3YR- 4AX, 3-Blatt, Composite, verstellbar (constant speed)
- 19 m/sec.
- auf Anfrage
Peter Wolter kam vom Drachenfliegen zur motorisierten Luftfahrt und von der Soziologie zum Journalismus. Er steuert ULs sowie E-Klasse-Maschinen und hat sein eigenes UL (eine Tulak) gebaut.
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