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Flugzeugporträt: Pilatus P-2

Bücker Jungmann, P-2, Bf 109 – so verlief die Jagdflieger-Ausbildung in der Schweiz. Bis 1981 war der erste Militärtrainer von Pilatus im Einsatz. Dieter Gehlings Exemplar ist das letzte, das gebaut wurde – der schnellste und edelste P-2, der noch fliegt

Von Peter Wolter
Flugzeugporträt: Pilatus P-2

Rechte Hand auf den Kabinenrand, linker Fuß in den Bügel unten am Rumpf … Und jetzt? Wie an der Eigernordwand hän- ge ich auf halber Höhe an der linken Bordwand des P-2, ratlos, wie man von hier ins Cockpit kommen soll. Dieter Gehling, der Besitzer, steht neben der Maschine und zeigt auf einen roten Halbkreis an der glatten senkrechten Fläche. Rechte Fußspitze gegen das Blech – das zurückweicht: eine Klappe, eine Trittstufe, die Rettung. Im Cockpit dann noch mehr Metall: Hebel, Schalter, Griffe, Ketten, Handräder, Schrauben, Niete, Bleche, alles gleichermaßen roh wie formvollendet, und darüber im Panel nur Rundinstrumente – dieses Cockpit wirkt wie ein Manifest gegen die digitale Welt und alles Moderne. Wen wundert’s: Das Flugzeug wurde vor 64 Jahren gebaut – ein Zeitraum, der reicht, um Fuktionalität wie Kunst erscheinen zu lassen.

Zweckmäßigkeit, nichts anderes, stand bei der Entwicklung des Pilatus P-2 im Vordergrund. Als Militärtrainer diente das Muster in der Schweiz dazu, Luftwaffenpiloten nach der Grundschulung auf Bücker Jungmann für die Messerschmitt Bf 109 fit zu machen. Ursprünglich sollte die Arado 96B oder die SAI. 7 diese Aufgabe erfüllen, doch alle Versuche, Lizenzrechte für die Produktion zu erwerben, scheiterten. So blieben die Pilatus Flugzeugwerke bis Kriegsende ein Wartungsbetrieb, der für Bf 109, DC-3 und C-36 zuständig war. Erst mit dem P-2 avancierte das Unternehmen zum Hersteller. Einen P-1 gab es übrigens nie. Beim Startschuss für den P-2 soll der Flügel aber schon mehr oder weniger fertig zur Verfügung gestanden haben.Der P-2-Prototyp kam am 27. April 1945 erstmals in die Luft. Danach wurden versuchsweise zwei Exemplare mit Hispano-Suiza-Motor gebaut, ein Schulflugzeug und ein Militärtrainer.

Der Zwölfzylinder zündet und bollert los – das Flugzeug lebt

Von beiden Versionen gingen je 26 Exemplare mit Argus-Motoren in Serie, wobei der Militärtrainer (P-2/06) ein Maschinengewehr und Aufhängevorrichtungen für Übungsbomben unter der Tragfläche hatte, während die Schulmaschine (P-2/05) ürsprünglich ohne Funk und Bewaffnung ausgerüstet war. Später glich man die beiden Versionen einander weitgehend an, 1965 kam eine IFR-Ausstattung hinzu. Bis 1981 war der P-2 im Dienst. Nach der Ausmusterung wurden 23 Maschinen versteigert, der erste Prototyp steht heute auf dem Werksgelände von Pilatus. Zwei nicht versteigerte P-2 gingen ins Dübendorfer Flieger-Flab-Museum. Dort ist eine der Maschinen immer noch zu besichtigen, die andere hatte man zunächst im Museum eingelagert, dann in der Schweiz wenige Stunden bewegt, bevor Kermit Weeks sie Ende der achtziger Jahre erwarb und in sein Museum nach Florida holte, das damals noch in Miami stand.

Doch Hurrikan Andrew, der 1992 viele Exponate zerstörte, verschonte auch den P-2 nicht. Für Weeks hatte die Pilatus beim Wiederaufbau seiner Sammlung keine hohe Priorität. Dirk Sadlowski von den Quax-Fliegern erwarb sie, ließ sie in Florida restaurieren und nach Deutschland verfrachten. Als er sie in Stadtlohn von Gehling Flugtechnik wieder aufbauen lassen wollte, kam die große Ernüchterung: Durch Andrew war Wasser in den Kasein-verleimten Flügel eingedrungen, viele Klebestellen hatten sich gelöst, die Reparatur in den USA offenbarte sich als Kosmetik. Für den Käufer war der Befund ein Desaster – als Blickfang in seinem Lippstadter Autohaus würde der P-2 vielleicht noch was hermachen, zu mehr war er nicht zu gebrauchen.

Wartung im eigenen LTB: Dieter Gehling hält sein Prachtstück selbst in Schuss

Dieter Gehling sah das anders. Der LTB-Chef hatte inzwischen herausgefunden, dass die Maschine mit der Werknummer 77 nicht zu jenen gehörte, die damals versteigert worden waren – und dass es sich bei dieser P-2/06 um das letzte gebaute Exemplar handelte. „Das war das Entscheidende“, sagt der 49-Jährige. Er kaufte den Flieger, restaurierte ihn von Grund auf und ließ ihn neu zu. Am meisten Zuwendung brauchte die Tragfläche. Die aus einzelnen Lamellen verleimten Holmgurte mussten zerlegt und mit Aerodux wieder zusammengefügt werden. Bevor die komplett neue Beplankung draufkam, montierte man die Antennen für ELT, VOR, GPS und Transponder im Flügel – Holz schirmt ja nicht ab, und so leidet der historische Look nicht unter modernen Anbauteilen. Nur die Com-Antenne steht unten vom Rumpf ab, wie früher.

Motor und Propeller wurden grundüberholt, Elektrik und Avionik erneuert, alle Dichtungen gewechselt, Metallteile überarbeitet und ihre Außenseiten poliert. 4500 Arbeitsstunden stecken in dem Oldtimer, seit Herbst 2011 fliegt er wieder. Als die Entwicklung des P-2 Ende 1943 begann, brauchte nicht alles neu konstruiert zu werden. Die Lager waren voll mit Teilen von Mustern, für die Pilatus einen Wartungsauftrag hatte. So wurde das gesamte Fahrwerk samt Bremsen von der Bf 109 übernommen, ebenso der Höhenruder- und Landeklappenantrieb. Auch viele Instrumente sind identisch. Das Höhenleitwerk erinnert an die C-63 der Eidgenössischen Konstruktionswerkstätte, ein Aufklärungs- und Erdkampfflugzeug, das unter anderem bei Pilatus gefertigt wurde.

„Es war der Trainer für die Bf 109 – ein grottengutmütiges Flugzeug“ – Dieter Gehling, Besitzer des P-2 und Chef von Gehling Flugtechnik

Wer beim Fahrwerk an der Herkunft zweifelt, stelle sich das linke Bein des P-2 auf der rechten Seite einer „109“ vor und umgekehrt: Messerschmitt ließ die Beine schräg aus dem Rumpf ragen und fuhr sie nach außen ein, Pilatus wollte eine breitere Spur und entschied sich für senkrechte Beine, die nach innen klappen. Geblieben ist der stumpfe Winkel zwischen Achse und Bein, der beim P-2 einen absurden Sturz der Räder ergibt. Doch selbst Hässlichkeiten adeln ein Flugzeug, wenn Messerschmitt dahinter steckt. Beim Antrieb stand die Arado 96 Pate, schon äußerlich gleicht die P-2-Schnauze jener des deutschen Fortgeschrittenentrainers. In beiden Flugzeugen ist ein Argus As 410-2 verbaut. Der luftgekühlte V-12 mit hängenden Zylindern holt aus 12 Litern Hubraum erstaunliche 465 PS. Zum Vergleich:

Der As 10 C, ein Achtzylinder mit größerem Hubraum, leistet im Fieseler Storch nur 240 PS, und auch später entstandene großvolumige Motoren wie der Wedenejew M-14 (Yak-52) haben eine geringere Literleistung als der As 410-2. Möglich wurde die hohe Leistung des P-2-Triebwerks durch einen mechanischen Lader, eine Anhebung des Drehzahlniveaus und Schrägstaffelung der Zylinderköpfe zwecks besserer Kühlung. Die um 45 Grad verdrehten Köpfe haben eine ungewöhnlichen Anordnung der Stoßstangen zur Folge: Sie sind gekreuzt. „Das musste Argus so machen“, erklärt Dieter Gehling“, „damit die Auslassventile auf die kalte Seite kommen. Hätte man sie konventionell angeordnet, in Längsrichtung hintereinander, wäre die Wärmeentwicklung zu hoch gewesen. Die mussten echt tricksen!“ Seine Leistung überträgt der Zwölfzylinder per Planetengetriebe auf einen schaltbaren Constant-Speed-Propeller von Argus.

X-Beine: Das Fahrwerk der Bf 109 ist seitenverkehrt eingebaut – daher der negative Radsturz

Die zwei vom Piloten vorwählbaren Drehzahlen werden aerodynamisch-mechanisch eingeregelt, und zwar über den Drehzahlunterschied zwischen der Nabe und der charakteristischen Argus-Rippenhaube vorn auf dem Spinner, die sich gegenläufig zum Prop dreht. Auch die Konstruktion des Flugzeugs weist einige Raffinessen auf. So senken sich die Querruder beim Klappensetzen automatisch ab, bis maximal 14 Grad – aus der dadurch möglichen geringen Mindestfahrt ergibt sich ein gewaltiger Geschwindigkeitsbereich von 120 bis 600 km/h. Der Rumpf erinnert an Luftschiffbau: Rippen und Gurte – das kennt man, doch zusätzlich wird der Aluminiumkasten von Streben getragen, die diagonal zwischen linker und rechter Seitenwand vernietet sind. Auch das Leitwerk besteht aus Alu, sämtliche Ruder sind bespannt. Eine seltsame Ausbuchtung am Rumpfboden hinterm Spornrad entpuppt sich als Verkleidung des Seitenruder-Massenausgleichs.

Dem unlackierten Metall ist überall anzusehen, dass es in Form gebracht wurde, dass Handarbeit dahinter steckt, eine menschliche Anstrengung, die den Teilen etwas Organisches verleiht. Kunststoff hat eine Form, bereits einlaminiert und vielleicht perfekt, aber da ist nichts mehr entstanden, nachdem das Material fertig war. Deshalb wirkt es leblos. So etwas gibt es beim P-2 nicht. „Die Schiebehaube schließen wir erst im Flug“, sagt Dieter Gehling – „Start und Landung offen – das hab ich mir so angewöhnt bei Flugzeugen dieser Art. Damit ich im Notfall schneller gerettet werden kann.“ Falls wir uns überschlagen, würde mich der Stahlrohl-Pylon zwischen vorderem und hinterem Cockpit schützen … Bevor der Mann vor mir den Argus startet, betätigt er den selbst entwickelten elektrischen Pre-Oiler: Damit werden alle Lagerstellen mit Öl versorgt, was den Verschleiß während der ersten Umdrehungen senkt.

Pilatus P-2: Was für ein Flugzeug!

Der Zwölfzylinder zündet und bollert los – das Flugzeug lebt. Die Bedienung des Motors ist genial einfach, weil Gemischanpassung, Zündzeitpunkt und Propeller automatisch geregelt werden. Im Grunde eine Ein-Hebel-Bedienung – die Flugschüler sollten rausschauen und alles Mögliche lernen, statt sich mit dem Triebwerksmanagement zu beschäftigen. Nur ein Mal während des Flugs, nach dem Start, greift man den Hebel links unten am Panel, der an den Schaltknüppel des Renault R-4 erinnert. „Start drücken / Flug ziehen“ steht neben dem Hebel – so simpel ist die Zweigang-Schaltung des Argus-Propellers. Früh kommt beim Anrollen das Heck hoch, nach 230 Metern Rollstrecke ist der P-2 laut Handbuch in der Luft. Mit 180 km/h lassen wir in Stadtlohn die Piste 29 unter uns.

Roten Griff rechts vorn ziehen und damit Fahrwerk entriegeln (mechanisch), schwarzen Hebel darüber drehen – jetzt kommen die Räder rein (hydraulisch), roten Hebel zum Verriegeln wieder nach vorn schieben; Klappen mit dem großen Handrad links von 10 Grad in die Null-Grad-Stellung; Motorleistung von der roten Markierung über die gelbe auf die weiße zurück; Propeller von 3100 auf 2820 Kurbelwellen-Umdrehungen pro Minute schalten. Mit 0,95 ata Ladedruck brummen wir dahin, 320 km/h schnell. Kein P-2 dürfte so gut gehen wie der von Dieter Gehling: Nachdem die alten, schweren, hinterm Schwerpunkt montierten Funkgeräte draußen waren, hat er die verstellbare Höhenleitwerksflosse neu justiert, damit die Trimmruder im Reiseflug neutral stehen – „leicht vertrimmt sind sofort 20, 25 km/h weg.“

Relikt aus der Kolbenmotor-Ära: Der erste Pilatus-Trainer war 36 Jahre lang im Einsatz. Tandem-Cockpit und Jäger-ähnliche Auslegung sind typisch für militärische Übungsflugzeuge

Was für ein Flugzeug! Die Heavy-Metal-Kabine, der schmale Rumpf, der Blick über den silbernen Flügel, der sich in Steilkurven mit dem Randbogen auf die Landschaft zu stützen scheint, dabei stets unübersehbar das Schweizer Kreuz wie ein extra für Flugschüler angebrachtes Schild zu deren Beruhigung: Keine Angst, Du bist zu Hause, alles ist gut. Böen können dem Zwei-Tonner wenig anhaben, und wenn’s um die Ecke gehen soll, verlangt er deutliche Steuerkräfte. Der P-2 wirkt nicht träge, aber Wendigkeit ist was anderes – ein Trainer eben, „ein grottengutmütiges Flugzeug“, wie Dieter Gehling sagt, kein Jäger und doch ein Luftwaffengerät zur Vorbereitung auf den Ernstfall.

Masse und dynamische Stabilität strahlen Ruhe aus, das Militärische bringt Dramatik ins Spiel. Eine seltsam ambivalente Kiste, wie ein Hummer mit Straßenzulassung. Vor dem Landeanflug übernimmt der Besitzer. In einer weiten Kurve drückt er den P-2 an, es wird laut, rasend schnell kommt der Boden näher, der Fahrtmesser zeigt 520 km/h – das fühlt sich schon eher nach Jäger an. Jetzt müsste da unten auf dem Vorfeld eine Bf 109 warten.

Fotos: Cornelius Braun, fliegermagazin 10/2014

Technische Daten
Pilatus P-2
  • D-ETAB
  • 1950
  • 11,00 m
  • 17,00 qm
  • 9,02 m
  • 2,70 m
  • 1504 kg
  • 1970
  • 210 l (220 l mit Druckbetankung)
  • Argus AS 410-2 / 465 PS
  • Argus L-22, 2-Blatt, constant speed (2-stufig verstellbar), Holz, 2,59 m
  • 230 m
  • 160 m (Asphalt)
  • 7,5 m/sec.
  • 6600 m
  • 640 km (ohne Reserve)
Über den Autor
Peter Wolter

Peter Wolter kam vom Drachenfliegen zur motorisierten Luftfahrt und von der Soziologie zum Journalismus. Er steuert ULs sowie E-Klasse-Maschinen und hat sein eigenes UL (eine Tulak) gebaut.

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