Flugzeug-Reportage: Stark Turbulent D1-M
Sie ist ein Unikat – und ich sonst ziemlich einmalig: Diese D1-M gibt es kein zweites Mal. Der kleine Taildragger hat ein bewegtes Leben hinter sich, heute wird er in Schleswig-Holstein liebevoll gepflegt
Zugegeben, sie sieht ein bisschen aus wie zu heiß gewaschen. Zu klein, um ein „richtiges“ Flugzeug zu sein, zu groß für ein Scale-Modell. Dennoch sind Bemerkungen wie „Was ist das denn? Ein Modellflugzeug?“ nicht selten, wenn Gerd Waldeck seinen Tiefdecker in Itzehoe aus dem Hangar zieht. Zieht? Eigentlich muss man sagen: trägt, denn zuerst hebt der 48-Jährige das Heck hoch und lotst es vorsichtig um die Streben einer Piper Cub herum, ehe er den zierlichen Taildragger nach draußen schiebt. Mit der PA-18 teilt sich der kleine gelbe Vogel den Hangar-Platz. Insofern war seine Größe quasi das „Einstellungskriterium“ Nummer eins: Wenn schon ein zweites Flugzeug, dann sollte es mit auf denselben Stellplatz passen. Und das tut sie, die Stark Turbulent D1-M: Sie hockt so perfekt unter der Fläche der Piper, dass man sich an Glucke und Küken erinnert fühlt.
Eigentlich wollte Gerd Waldeck kein zweites Flugzeug. Wozu auch – eins reicht schließlich. Doch dann stolperte der Berufspilot aus Hitzhusen bei Hamburg über die falsche Kleinanzeige. Und mit der kam die Erinnerung: „Ich war ungefähr vier Jahre alt, als ich mit der Stark zum ersten Mal Bekanntschaft machte, am Flugplatz Hartenholm“, erzählt Gerd. „Diese erste Begegnung weckte den Traum in mir, solch ein Flugzeug zu fliegen.“ Vier Jahrzehnte später war diese Gelegenheit also zum Greifen nah. „Mein Verstand sagte nein, mein Bauch schmerzte, und trotzdem war ich entschlossen“, sagt Gerd und legt fast trotzig nach: „Was wäre das für eine Welt, wenn jeder nur rationell und vernünftig denken würde?“ Schnell war der Handel perfekt und Gerd stolzer Besitzer einer Stark Turbulent D1-M, „ohne sie auch nur einmal geflogen zu haben …“ Einer D1-M? Nein: der D1-M. Denn das Maschinchen ist ein Unikat in Deutschland, wahrscheinlich sogar in ganz Europa: Es ist die einzige „M“.
ULs haben’s leichter: Mehr als das Bade-Gepäck ist nicht drin. Ein gutes Argument für Solo-Trips
Der Buchstabe verrät das Triebwerk: ein Sauer SE 1800 E2S mit 54 PS. Ursprünglich war die Turbulent mit einem Stamo 1400 unterwegs. Stamo steht für Stark-Motor und ist eine Entwicklung des Mindener Tüftlers Wilhelm Stark, der, kaum dass nach dem Zweiten Weltkrieg 1955 der Motorflug in Deutschland wieder erlaubt war, die Baupläne für die „Druine D.31“ des französischen Flugzeugkonstrukteurs Roger Druine in die Hand bekam. Stark, eigentlich Radio-Mechaniker und Besitzer eines kleinen Radiogeschäfts in Minden, vor allem aber passionierter Segelflieger, war von der Holzkonstruktion so begeistert, dass er Baupläne und Nachbau-Lizenz erwarb. Und einen Flugzeugbaumeister (so was gab’s damals noch!) als Mitstreiter anheuerte: Otto Buchheister. Doch ehe das Luftfahrt-Bundesamt (LBA) seinen Segen zum Bau der ersten „Stark-Turbulent“ gab, mussten zahlreiche Änderungen an der Druinschen Ursprungs-Konstruktion vorgenommen werden.
Die ersehnte LBA-Genehmigung kam 1956. Im Keller von Starks Geschäft entstand der Prototyp, der am 20. Juli 1956 seinen Erstflug absolvierte – mit einem modifizierten, 26 PS starken VW-Käfer-Motor. Zwar war der LBA- Sachverständige, der selbst eine Runde auf der D-EJON flog, schwer angetan von dem kleinen Flieger. Doch ehe das Ja zur Serienfertigung gegeben wurde, musste der Motor „richtig“ luftfahrttauglich gemacht werden. Oberstes Gebot: zwei unabhängige Zündsysteme. So wurde aus dem Volkswagen-Boxer der 45 PS leistende „Stamo 1400“ (der später auch in zahlreichen anderen Flugzeugmustern lief), und die ehemalige Bauplan-Französin startete als zertifizierte Stark-Turbulent ins Serienleben (Später nahm sich auch die britische Rollason Aircraft and Engines Ltd. der Druine-Pläne an und fertigte den Einsitzer als „Rollason D31“ ebenfalls unter Lizenz). Insgesamt 36 Exemplare produzierte die Stark Flugzeugbau GmbH, einige Maschinen wurden sogar in die USA und nach Australien verkauft.
1963 schloss das Unternehmen seine Tore für immer – zu groß war die Konkurrenz billiger Gebrauchtflugzeuge aus Amerika. Gerd Waldecks D-EFUF verließ die Mindener Stark-Hallen im Februar 1959 als fünfzehntes Exemplar mit der Werknummer 115. „Luxusausführung; Farbe: gelb“ steht in der Auftragsbestätigung. Preis: 14900 Mark. Ihr Kennzeichen hat sie übrigens seit der Erstzulassung – obwohl der kleine Einsitzer ein äußerst bewegtes Leben hinter sich hat: – eine umfangreiche Dokumentation, inklusive handgeschriebener Briefe der Vorbesitzer, gibt ihre wechselvolle Geschichte wieder. Der erste Schicksalsschlag ereilte das kleine Spornrad-Flugzeug nach zweieinhalb Jahren. Ihr Pilot kam bei der Landung zu kurz, setzte auf einem unbefestigten Streifen vor der Bahn hart auf und überschlug sich. Fahrwerk und Fläche bekamen dabei soviel ab, dass sie erneuert werden mussten. Finanzielle Streitigkeiten der Eigner mit der Stark-Flugzeugbau ließen diese Arbeiten drei Jahre währen.
Danach verliert sich für elf Jahre die Spur der D-EFUF, ehe sich 1975 ein Luftfahrt-Journalist ihrer annimmt und ihr in Bonn-Hangelar ein neues Zuhause gibt. Leider währt diese innige Freundschaft nur ganze vier Monate, da ihr Eigner den Einsitzer auf Dauer zu einsam fand. Die Stark landet zunächst in Wipperfürth, dann in Mönchengladbach, wo der neue Besitzer sie nach wenigen Flügen und einem kleinen Rollschaden im Hangar stehen lässt, mit dem Plan, sie in der Diele seines Hauses aufzuhängen … Dazu kommt es zum Glück nie. Statt dessen steht sich der kleine Flieger die Reifen platt. Erst 1991 kommt die D-EFUF wieder in die Luft – mit einem frischen Triebwerk: Der neue Besitzer rüstet den Tiefdecker vom 45 PS-Stamo auf einen 54 PS starken Sauer um. Bei einem MTOM von 360 Kilo schon ein Quantensprung … Der neue Halter versucht alles, um eine endgültige Verkehrszulassung zu bekommen.
Trotz Doppel-Magnetzündung gab das LBA nach dem Umbau auf den Sauer Motor nur den VVZ
Dem Erstflug am 30. Juli 1993 auf dem Flugplatz Bohmte folgen weitere 24 Erprobungsflüge. Dann erlischt das Interesse. Die Stark steht zwei weitere Jahre im Hangar, ehe im Herbst 1996 ein neuer Besitzer die „Testflüge“ fortsetzt. Die Berichte der Flugerprobung waren alle durchweg positiv. Dennoch erteilte das LBA nur eine VVZ, und die D-EFUF ist ab sofort mit dem Experimental-„Stempel“ unterwegs. Vielleicht deshalb wechselt das Flugzeug im Jahr 2000 erneut sein „Herrchen“. Der geht nicht unbedingt pfleglich mit ihr um. Und so verbringt Gerd Waldeck, nachdem er den Taildragger vor dreieinhalb Jahren erworben hat, ziemlich viel Zeit im Hangar – mit Basteln. „Die vermeintlich normale Geruchsbelästigung durch Kraftstoff entpuppte sich als mangelhaft abgedichteter Riss im Tank“, sagt Gerd. Um die Schweißarbeiten kümmerte sich der LTB Gomolzig. „Doch der Ein- und Ausbau gestaltete sich als mehrstündige Puzzlearbeit“, erzählt Gerd.
„Ich verstand danach, weshalb der Tank nur abgedichtet war …“ Ein unruhiger Motorlauf erklärte sich durch Zündkerzen, deren zulässige Betriebszeit um ein Vielfaches überschritten war, der Zylinderkopftemperatur-Geber hatte sich längst verabschiedet: „Der Pflegezustand dieser Maschine war echt sch …“, so Gerd trocken. „Wenn ich die Bastel- mit der Flugzeit vergleiche, steht dies in keinem Verhältnis. Aber für mich ist es das wert, ich bewahre damit ein Stück Geschichte. Die Stark ist ein originelles, gut aussehendes Teil der deutschen Luftfahrthistorie nach dem Zweiten Weltkrieg. Außerdem bietet sie in Relation zu der niedrigen Triebwerkleistung gute Flugleistungen.“ Apropos: Wie fliegt sie denn nun? Ein Blick auf das filigrane Maschinchen lässt ahnen, dass einiges an Fingerspitzengefühl erforderlich ist, um sie heil rauf- und wieder runterzubringen. Und ein Griff an den Knüppel verrät schon am Boden, dass die Stark Turbulent ein hochagiles Leichtgewicht ist.
Auch Gerd Waldeck –, dem mit 8000 Hubschrauber- und 5600 Flächenstunden reichlich Erfahrung zur Verfügung steht – Spornradflugzeuge wie etwa die Do-27 inklusive – räumt ein: „Dieses Flugzeug will, zumindest bei Start und Landung, geflogen werden! Aufpassen muss man auch beim Überziehen, da die Turbulent recht kopflastig ist – zwei Kilo Blei am Sporn zeugen davon – und sie keine Überziehwarnung hat. Bei 80 km/h nimmt sie dann einfach die Nase herunter, um wieder Fahrt aufzuholen. Für mich hat dies als Konsequenz, dieses Flugzeug bei der Landung niemals aushungern zu lassen.“ Gerd, Hubschrauberpilot bei der Bundespolizei und daher das gelegentliche Erbsenzählen von Berufs wegen gewöhnt, hat sich der D-EFUF denn auch sehr behutsam genähert: „Erst nach umfangreichen Rollversuchen, wo mir die recht direkte Seitensteuerung positiv auffiel, ging es zum ersten Mal in die Luft.
Dann folgten die ausschließlich Platzrunden – peinlichst genau die Handbuchwerte abfliegend. Zum Glück hat Itzehoe auch eine Grasbahn, denn die in der Flugerprobung aufgeführten gutmütigen Landeeigenschaften, mit keinerlei Ausbrechtendenz, kann ich nun wirklich nicht bestätigen!“ Mit anderen Worten: Die niedliche Kleine ist eine echte Zicke. Gerd beschreibt diese Charaktereigenschaft allerdings gelassen als „eine Ruderfolgsamkeit, die einfach klasse ist.“ Und fügt hinzu: „Man kann mit wenigen Handgriffen die Haube lösen und oben ohne fliegen – Vergnügen pur! Das zieht zwar unheimlich und kostet um die fünf km/h Reise, macht aber enorm viel Spaß! Sie fliegt geradeaus. Sie ist stabil. Beim Herumturnen zeigt die Maschine ihre ganze Wendigkeit.“
Fliegender Roadster: Die Haube ist mit wenigen Handgriffen abgenommen und ermöglicht so das totale Cabrio-Gefühl
Er gibt jedoch zu: „Durch das geringe Gewicht ist die aufgebaute Fahrt bei Kurven auch unheimlich schnell wieder abgebaut. Da muss man vorsichtig sein.“ Es sieht ganz so aus, als habe die D-EFUF ihren Alterswohnsitz gefunden. Und einen späten Liebhaber: Gerd will sie noch einmal neu betuchen. „Nicht heute und auch nicht morgen. Aber die Kopien der Originalpläne von Stark werden mir dabei helfen, diese unverfälschte Turbulent am Himmel zu halten. Ein echter Hingucker ist sie ja …“ Sagt’s und tätschelt ihr den Rumpf.
Text und Fotos: Claudia Stock, fliegermagazin 6/2007
- Flugzeugwerk Stark KG, Minden, Westfalen
- 1958
- 7,15 m
- 8,5 qm
- 5,35m
- 1,80 m (Spornlage)
- 245 kg
- 360 kg
- 115 kg
- 40 l, ausfliegbar: 38,5 l
- Sauer SE 1800 E29/54 PS
- MT 137 L100-1A
- 10 l/h
- 150m
- 350 m
- 150m
- 350 m
- 880ft/min
- 3,5 Std./520 km
- Echo-Klasse
- Flugzeuge
- Sauer SE 1800 E2S
- Unikat
- Hitzhusen
- Scale-Modell
- D31
- Turbulent
- Stark
- Stark Turbulent D1-M
- Stamo 1400
- Zündsysteme
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- LTB Gomolzig
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- Stark Flugzeugbau GmbH
- Rollason Aircraft and Engines Ltd.
- Rollason D31
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