Rennflugzeug

Flugzeug-Reportage: Rennflugzeug Wildfire

Rohe PS-Muskeln statt Ästhetik – mit diesem Vogel lässt sich kein Schön-heitswettbewerb gewinnen.Aber das hatte der Schöpfer der Wildfire, William Statler senior, auch gar nicht im Sinn. Einzige Existenzberechtigung des Rennboliden: bei den Reno Air Races die Unlimited Class aufzumischen. Dafür hat man sich verdammt lang Zeit gelassen …

Von Redaktion

Das Ganze hört sich nach einem brandneuen Projekt an. Frisch vom Reißbrett sozusagen. Ist es eigentlich auch. Besser gesagt: inzwischen wieder. Denn seine Wurzeln reichen bis in die siebziger Jahre. Was nicht heißen soll, das Ergebnis der langen Entwicklungszeit wäre eine besonders ausgefeilte Teufelskiste: Von 1983 an ging 16 Jahre lang gar nichts. Doch für die Crew in Seatle heißt es: Aufgeben gilt nicht. Und bis zuletzt war William Statler senior dabei. Schließlich war es sein Baby – die Wildfire. An einem Sonntag im März empfängt uns der 83-Jährige zusammen mit seiner Frau vor dem Hangar am Mojave Airport, 100 Kilometer nördlich von Los Angeles. Er freut sich, dass seine gesamte Mannschaft an diesem sonnigen Wintermittag angetreten ist, um das einziehbare Fahrwerk der Wildfire zu reparieren – und über das Journalisten-Team, das den weiten Weg aus „Germany“ hierher hinter sich gebracht hat, um zu fotografieren und die Wildfire-Mannschaft mit Fragen zu löchern.

William „Bill“ Statler junior erinnert sich an den 20. Oktober 1983: „Wir guckten damals richtig dumm aus der Wäsche – unsere Wildfire hob einfach ab und flog davon“, erzählt der ältere Sohn und lacht dabei übers ganze Gesicht. Was daran so schlimm war? Nun, der Racer war noch nie geflogen und sollte es auch nicht so schnell. Das Versuchsprogramm sah zunächst Rolltests vor, mehr nicht. „Später erfuhren wir, dass der Pilot überhaupt keine Erfahrung mit Taildraggern hatte. Und eine Maschine mit Doppelsternmotor von Pratt & Whitney war er auch noch nie geflogen“. Bill kommt die Sache in der Retrospektive immer noch sehr kurios vor. Damals, auf dem Mojave-Airport am Rande der gleichnamigen Wüste in Südkalifornien, war dem Team um William Statler senior allerdings überhaupt nicht zum Lachen zumute gewesen. Der ungeplante Hüpfer endete zwar glimpflich, denn der eigenmächtige Pilot landete das kostbare Einzelstück unbeschädigt.

Go for speed! Mindestens 475 Meilen sind angepeilt

„Warum der sich aber nicht an unser Testprogramm gehalten hat, weiß kein Mensch. Dabei hatten wir alles genau besprochen“, rätselt Bill Statler noch heute. Jedenfalls habe man jetzt einen richtigen Testpiloten: Dave Morss. Der ist in der amerikanischen Rennszene bekannt wie ein bunter Hund. Morss hat 13 Geschwindigkeitsrekorde aufgestellt und rund 22 000 Flugstunden (auf über 300 Mustern) auf dem Buckel. Der 50-Jährige jagt in Reno in mehreren Rennklassen um die Pylone und ist Inhaber einer Firma, die Flugzeugprototypen testet. Aber 1983 – das ist doch schon eine halbe Ewigkeit her? Stimmt. Beinahe wäre das Wildfire-Projekt zur Neverending- Story geraten. Hatte doch der Statler-Clan um Vater William, die Söhne William und Richard sowie einige Freunde aus der Reno-Rennszene bereits 1975 beschlossen, ein eigenes Rennflugzeug für die berüchtigte Unlimited-Klasse zu bauen.

Acht Jahre nach dem ungeplanten Testflug ging dem Team allerdings der monetäre Treibstoff aus – der Racer wurde auf Eis gelegt. Eine unerträgliche Situation für die Wildfire-Rennfreaks. Verständlich, wenn man sich nichts Geringeres vorgenommen hat als die teuerste und verrückteste Rennklasse, die Unlimited, aufzumischen. So gingen 16 lange Jahre ins Land, bis der Familienclan neues Geld zusammengekratzt hatte und 1999 kurzerhand eine Firma gründete, die Statler Air. Ihr einziger Zweck: den Racer fertigzustellen und in Reno an den Start zu gehen. Doch wie baut man eigentlich ein Rennflugzeug? „Man hat ein weißes Blatt Papier“, beliebt Statler senior zu scherzen. Der ehemalige Lockheed-Direktor war seinerzeit zuständig für Forschung und Entwicklung von allem, was Flügel oder Propeller hatte.

Als Inhaber von sieben Patenten und maßgeblicher Entwickler der L-1011 Tristar, C-130, Jetstar, C-5, Electra, diverser Helikopter und mehr dürfte sich in Statlers Kopf eine Menge Know-how geballt haben, um das Blatt schnell zu füllen. Aus einem Stahlschrank im hintersten Eck des Hangars kramt der alte Herr sein Konstruktionsbuch hervor und zeigt es den Gästen bereitwillig. Hunderte von Seiten vollgeschrieben mit feinem Bleistift: statische und aerodynamische Berechnungen, Propellerkalkulationen, Leistungsanalysen, Zeichnungen, Tabellen und mehr. Nun rückt er doch ein paar Eckpunkte raus: „Als Rahmenkonstruktion haben wir eine alte T-6 genommen.“ Doch mehr als den vorderen Teil wollte man nicht davon verwenden. Für den Antrieb fiel die Wahl auf den Doppelsternmotor Pratt & Whitney R2800-CA-97W. Zwei dieser Kraftpakete schraubte man von einer Convair T-29 ab und machte daraus einen. Damit die Marschrichtung von Anfang an feststeht: Im Konstruktionsbuch des Seniors findet sich gleich zu Beginn eine Leistungsberechnung.

Für 475 Meilen pro Stunde, also knapp 765 Stundenkilometer, sind 2572 Pferdestärken notwendig, steht dort. Schon deshalb fiel die Wahl auf den 18-Zylinder-Doppelsternmotor, der im Serienzustand für 2600 PS gut ist und als zuverlässig gilt; zudem gibt’ s noch bezahlbare Ersatzteile. In der Tat hat es keinen Wert, in der Unlimited-Kategorie mit einem Rennflugzeug anzutreten, das nicht das Zeug für 500 Meilen pro Stunde hat. Denn die Königskategorie des Pylonracing kennt in der Tat kaum Grenzen – wenn man mal davon absieht, dass im Reglement kolbengetriebene Motoren sowie Propeller vorgeschrieben sind. Seit jeher hat das zur Folge, dass gnadenlos aufgerüstete ehemalige Warbirds mit verstärkten und teils gekürzten Flächen sowie bis zum Geht-nicht-mehr aufgeblasenen Triebwerken von manchmal mehr als 3000 PS um die Pylonen rasen, dass Zuschauer hin und weg sind vor Faszination.

Die Wildfire muss es mit altbewährten Warbirds aufnehmen

Hier wirft man nur hochgezüchtete Leistung in die Rennschlacht – der Rekord steht derzeit bei 470 Meilen pro Stunde (über 756 km/h), geflogen von Rare Bear, einer F8F-2 Grumman Bearcat. Nächster Konstruktions-Eckpfeiler: Stall Speed. Kein so wichtiges Thema, fliegt man doch sowieso stets im Hochgeschwindigkeitsbereich, und die Piloten gehören zu den besten, die eine Landung mit viel Speed hinkriegen. Im Statlerschen Konstruktionsbuch stehen 91 Meilen (gut 146 km/h). Landeklappen sind an einem Rennflugzeug überflüssiger Ballast und selbst eingefahren Widerstandsverursacher. Zu dem seltsamen Profil, das unten stärker gewölbt zu sein scheint als oben, erklärt der alte Herr lapidar: „Ich habe die Eigenschaften mehrerer Profile gemischt“ – okay, er scherzt wieder ein bisschen. Es ist ein NACA C4-212B, zwölf Prozent Dicke, in der Tat eine Eigenentwicklung des Lockheed-Ingenieurs.

„Es ist für scharfe Richtungsänderungen an den Pylonen am besten geeignet. Ideal ist dort ein Lastvielfaches von 2,5 g.“ Der gesamte Flügel ist also eine Eigenkonstruktion, ebenso das Rumpfheck sowie das Höhen- und Seitenleitwerk. Nachdem so mancher Computergroßkonzern seine Anfänge in einer Garage genommen hat, muss sich das Wildfire-Team nicht schämen, dass der hintere Rumpf und die Motoraufhängung in Bills Autobehausung entstanden sind. Das Leitwerk baute man in einer anderen Garage, das Fahrwerk wurde in wieder einer anderen Privatwerkstatt überholt. Am Van Nuys Airport fügte man die Segmente zusammen, am 20. Oktober 1983 war Roll Out. Jetzt wurde es höchste Zeit, den Rumpftorso nach Mojave auf den Wüstenflugplatz zu überführen. „Hier haben wir viel mehr Möglichkeiten“, sagt Bill Statler. Wie um diese Aussage zu untermalen, ertönt plötzlich ein höllisch lautes Pfeifen, das sich zu einem Trommelfell-schädigenden grellen Heulton verstärkt.

Turbinen- Parfum erfüllt die Luft, im Nachbarhangar lässt ein Freizeitpilot die Triebwerke seiner Fouga Magister für einen nachmittäglichen Spazierflug warmlaufen. Wenige Meter entfernt stehen ein paar ältere, schön restaurierte MiGs herum, daneben eine Grumman F9F Panther. Auf einer riesigen Fläche jenseits der Rollbahn haben Fluggesellschaften ihre überflüssigen Airliner eingemottet. Die Silhouetten von gut 100 Jets heben sich im gleißenden Wüstenlicht von der Sierra Nevada ab. Außerdem ist der Flughafen bekannt als Startplatz für das erste private Raketenflugzeug SpaceShipOne. Inzwischen ist das einziehbare Fahrwerk ausgebaut, neue Dichtungen müssen eingesetzt werden. Die Wildfire, erstgrundiert, steht dominant im Hangar, sprungbereit wie ein großes wildes Tier. Sie scheint auf ihren ersten Einsatz zu lauern. „Wenn das Fahrwerk demnächst eingebaut wird, ist die Wildfire bis auf einige kleinere Arbeiten startklar.

Wir hoffen, dass wir in den nächsten Monaten das Testprogramm mit Dave Morss durchziehen können“, verheißt Bill Statler, der als studierter Flugzeugingenieur in die Fußstapfen seines Vaters getreten ist und bei Lockheed Martin Aircraft als leitender Entwicklungsingenieur arbeitet. Jetzt ist es die Aufgabe des jüngeren Statler-Sohns Richard, die Finanzlage zu verbessern. Der Manager einer Telekommunikationsfirma weiß, was zu tun ist: „Wir müssen einfach in Reno zeigen, was unsere Wildfire drauf hat. Dann werden wir schon weitere Sponsoren finden.“ In Reno zeigen, was eine Harke ist, das würde dem Senior gefallen. Erleben wird er es allerdings nicht mehr: William Statler starb wenige Wochen nach unserem Besuch.

Text: Axel Westphal; Fotos: Cornelius Braun; fliegermagazin 7/2005

Technische Daten
Rennflugzeug Wildfire
  • 9,75 m
  • 27,87 qm
  • 9,45 m
  • 2676 kg
  • 3456 kg
  • Pratt & Whitney R2800-CA-97W Double Wasp CB 16, 2600 PS bei 2800 U/min
Schlagwörter
  • Rennflugzeug
  • Pylone
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