Flugzeug-Reportage: Orlican M-1D Sokol
Oldtimertreffen in Oberschleißheim: Zwischen bekannten Klassikern erweckt ein dunkelgrün lackierter Tiefdecker Aufmerksamkeit. Eine Arado? Nein, die Maschine trägt die Kennung „5008“ und Hoheitszeichen der DDR von 1962. Aber was für ein Typ ist es? Eine extrem seltene Orlican M-1D Sokol!
Drehen wir das Rad der Geschichte ein gutes halbes Jahrhundert zurück: Leipziger Messe 1953, eine der ersten nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Die tschechische Firma Orlican stellt ein dreisitziges Verbindungsflugzeug aus. Eigentlich ist die Maschine zu diesem Zeitpunkt bereits vier Jahre alt, aber 1949 gab es noch keine Leipziger Messe. Und bei genauer Betrachtung handelt es sich um eine Weiterentwicklung der bekannten Sportflugzeugserie des Konstrukteurs Benes Mraz noch aus der Vorkriegszeit. Die Beteiligung von Orlican an der Leipziger Messe ist ein Erfolg – Vertreter der noch jungen DDR-Führung kaufen spontan zwei Exemplare. Dies steht zwar nicht unbedingt im Einklang mit dem Potsdamer Abkommen, das beiden deutschen Nachkriegsstaaten jeglichen Besitz von Motor-Flugzeugen untersagt. Aber wenn man einen Sowjetstern auf das Leitwerk malt, fällt das ja nicht unbedingt auf.
Die Maschine mit der Werknummer „365“ dient zunächst der Kasernierten Volkspolizei in Cottbus als Verbindungsflugzeug. Nach Aufhebung des Flugverbots wird der Maschine das DDR-Kennzeichen DM-WAS verpasst und der neu gegründeten Gesellschaft für Sport und Technik zugeteilt. Etwa 1962 unterstellt man das Flugzeug der Nationalen Volksarmee NVA, es erhält eine grüne Tarnlackierung und die Registrierung „5008“. Die „5008“ wird etliche Jahre für Verbindungsaufgaben und zur Navigationsschulung eingesetzt. Dann verliert sich ihre Spur. Ob sie, wie damals üblich, verschrottet wurde, um „Missbrauch durch potenzielle Republikflüchtlinge“ zuvorzukommen, ist nicht endgültig geklärt. Fest steht: Es hat sich um eines der ersten Luftfahrzeuge der damals jungen DDR gehandelt.
Die Sokol ist ein typischer Vertreter der DDR-Luftfahrt
Der ungewöhnliche Spornradflieger vom Flugtag Oberschleißheim ist nur einige Kilometer weiter westlich im bayerischen Landsberg am Lech stationiert und wird von Klaus Plasa geflogen, einem bekannten Piloten der deutschen Airshow- und Warbird-Szene. Die Maschine ist wie ihre Vorlage, die Original-„5008“, Baujahr 1949, trägt die Registrierung D-EGWP und hat die Werknummer 304. Sie wurde mit Genehmigung des Luftfahrt-Bundesamtes nach dem Vorbild der „5008“ gestaltet. Befragt nach den Beweggründen hierfür meint Klaus Plasa, der die sechzehnmonatige Restaurierung im April 2004 abschloss: „Erstens hatte ich seit vielen Jahren noch einen passenden Motor in der Ecke und wusste, dass ich eines Tages mal das entsprechende Flugzeug dazu finde…Zweitens repräsentiert das Vorbild der Maschine eine interessante Episode unserer Nachkriegsluftfahrt, für die man sich nicht schämen muss.“ Wohl wahr!
Das Schmuckstück hat erst 1200 Stunden auf dem Buckel und fliegt mit einem generalüberholten Triebwerk. Wie sieht es mit der Technik der Sokol – zu deutsch Falke – aus? Die Maschine ist in klassischer Holzbauweise konstruiert. Der Rumpf bildet eine Einheit mit dem Flügelmittelteil, der Seiten- und -Höhenflosse. Entsprechend sorgfältig wurden alle Übergänge gestaltet, was zu den ansprechenden Flugleistungen der Sokol beiträgt. Andererseits verhinderten der hohe Wartungs- und Konstruktionsaufwand große Stückzahlen, obwohl die Maschine gegen Ende der vierziger Jahre durch einige spektakuläre Fernflüge (etwa Prag–Kapstadt) auf sich aufmerksam machte. Nach etwa 550 gebauten Exemplaren wurde sie 1957 von dem Ganzmetall-Nachfolger Meta Sokol abgelöst. Das führe immer wieder zu Verwechslungen, erklärt Plasa.
Gefragt, um welchen Typ es sich bei der Maschine handle, lautet seine Antwort: „Eine Sokol“. „Ach ja, eine Meta Sokol“. „Nein eben nicht, es ist eine Holz-Sokol!“ So ist der zweiholmig aufgebaute Tragflügel ebenfalls aus diesem Material, teils mit Sperrholz beplankt, teils bespannt. Die Hauptfahrwerksräder lassen sich mit Hilfe einer Handkurbel einziehen, das Spornrad ist steuerbar. Spaltklappen werden mit einem zwischen den Sitzen liegenden „Handbremshebel“ bedient, der durchaus auch aus einem Trabbi stammen könnte. Ein luftgekühlter Reihenmotor vom Typ Walter Minor 4-III mit 105 PS verhilft dem Flugzeug zu einer Reisegeschwindigkeit von knapp 130 Knoten. Zwei Tragflügeltanks (im Mittelteil) mit zusammen 110 Liter Fassungsvermögen und ein Rumpftank mit 15 Liter Inhalt ermöglichen eine Reichweite von mehr als fünf Stunden.
Kein Wunder, dass Klaus Plasa die Sokol deshalb zu seinem persönlichen „Betriebsfahrrad“ erklärt hat – „Ich habe sowieso immer nur an Flugplätzen was zu tun …“ Durch die Auslegung auf bleifreien Sprit mit mindestens 75 Oktan begnügt sich der Vierzylinder sogar mit billigem Normalbenzin von der Tanke. „Bei dem Preis ist dann auch noch ein Schokoriegel als Wegzehrung drin“, schmunzelt Plasa. Zudem ist die Sokol sogar begrenzt kunstflugtauglich: Beim Flugtag des oberbayerischen Fliegerclubs Warngau im vergangenen Herbst zeigte Plasa, der im „Normalberuf“ mit einer Luftwaffen-Transall unterwegs ist, was der mehr als 50 Jahre alte Oldtimer noch so alles drauf hat. Die D-EGWP alias „5008“ ist eine von nur wenigen fliegenden Exemplaren im Original-Zustand. Und über 100 Flugstunden seit April sind auch ein Beweis ihrer Zuverlässigkeit und Alltagstauglichkeit. Ausrangierte Exemplare stehen im Technik-Museum Speyer, im Luftfahrtmuseum Prag und im Transportmuseum Budapest (siehe fliegermagazin 8/2003).
Vor 50 Jahren überzeugte die Sokol mit guten Flugleistungen und Einziehfahrwerk
In Deutschland sind zur Zeit drei Sokols zugelassen, weitere zwei werden restauriert. In Tschechien und der Slowakai fliegt jeweils eine. Die Sokol ist also eine durchaus „gefährdete Spezies“. Auf die Frage, ob es Probleme mit Ersatzteilen gibt, meint Plasa: „Man darf nicht erwarten, Teile aus dem Katalog bestellen zu können. Da die Maschine aber ganz aus Holz besteht, nur wenige Blechverkleidungen hat und darüber hinaus auch keine komplizierten Systeme vorhanden sind, ist vor allem handwerkliches Geschick und Ausdauer gefragt.“ Und nach der Wende war Sokol-Fliegen sogar zum Schnäppchenpreis möglich,
schwärmt ihr drahtiger Pilot. So kostete damals eine Zündkerze eine einzige Mark – mittlerweile ist der Preis auf 30 hochgeschnellt – Euro wohlgemerkt.
Noch eine Anekdote: Im Flugbetrieb der DDR saß der Lehrer immer links und übernahm Start und Landung, nur in der Luft durfte ein Flugschüler knüppeln, während der zweite Schüler vom hinteren (Kinder-)Sitz aus zu franzen hatte. Dazu meint Plasa nur lapidar, dass diese Tatsache weniger damit zu tun habe, dass die Sokol besonders schwierig zu fliegen sei, sondern wohl eher an dem damals weit verbreiteten „Ikonengehabe der Herren Instrukteure“.
Wie fliegt sie sich nun? Der Berufspilot mit tausenden von Stunden Erfahrung auf vielen Oldtimer-Mustern – darunter auch Warbirds wie die P-51 Mustang – meint, die Sokol sei ein typischer Spornradflieger: Beim Rollen sehe man wenig nach vorn, und beim Start sei sie etwas zickig.
Und fügt nach einer kurzen Pause hinzu, Seitenwind von rechts gefalle ihr nicht besonders, da der Motor ein Linksläufer sei. Dafür werde man aber mit einer prächtigen Rundumsicht und harmonischer Ruderabstimmung belohnt. Und mit einem Zwinkern fügt er hinzu: „Aber für den Sonntagszwirn ist sie trotzdem nix, denn bis abends hat sie mit Sicherheit einen Ölfleck irgendwo auf den Klamotten hinterlassen!“
Text: Andreas Gollwitzer/Jürgen Schelling; Fotos: Urban Kirchberg; fliegermagazin 3/2005
- 10 m
- 13,8 qm
- 7,35 m
- 2,20 m
- 475 kg
- 815 kg
- 125 Liter (Tankinhalt ausfliegbar: 120 Liter)
- Walther Minor 4-III, 105 PS
- 700 ft/min
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