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Flugzeug-Reportage: Boeing Stearman

Kaum ein anderer Oldtimer steht so für Doppeldecker-Romantik wie die Boeing Stearman. Südlich von Berlin gibt es jetzt eine mit deutscher Zulassung

Von Thomas Borchert
Flugzeug-Reportage: Boeing Stearman

Schöner könnte mein erster Flug in einem offenen Cockpit nicht sein: Mit 20 Grad ist dieser Tag im Oktober ungewöhnlich warm, das Herbstlaub leuchtet knallig in der tief stehenden Nachmittagssonne. Direkt vor mir tuckern die sieben Zylinder des mächtigen Sternmotors, seine Wärme strahlt bis ins Cockpit. Eine dicke Felljacke und eine Lederhaube hüllen mich ein – beides hält der Eigentümer der Maschine für Mitflieger im Gepäckfach vor. Wir gleiten über Gelb, Grün und Braun in allen Schattierungen, schwenken den langen Steuerknüppel, bis die behäbige Maschine ihm träge folgt und die knallgelbe Lackierung auf den Flächen blitzt. Der Wind summt in den Spanndrähten; über das Intercom brüllen wir einander unsere Begeisterung zu. Für schnelles Reisen ist dieses Flugzeug nicht gemacht: Mit nicht mal 90 Knoten steuern wir die Piste von Reinsdorf südlich von Berlin an.

Hier ist die knallgelbe Boeing N2S-3 zwar nicht stationiert, aber „hier passt sie hin, denn dies ist ein Grasplatz“, erklärt Pilot Jan-Peter Fischer, mit dem ich zuvor auf der Betonpiste von Schönhagen gestartet bin. Ihm gehört das Flugzeug zwar nicht, doch er hat das Erfliegen der Flugdaten übernommen – eine Auflage der deutschen Behörden, um das Flugzeug als Einzelstück mit D-Kennzeichen zuzulassen. Gerade mal eine Handvoll in Deutschland zugelassene Stearman-Doppeldecker gibt es – das US-amerikanische N im Kennzeichen ist gängiger. In den USA fliegen noch weit über 1000 Stück. Kein Wunder: Mit über 8500 gebauten Exemplaren ist die Boeing-Stearman Model 75 eines der meistgebauten Schulflugzeuge der Welt – praktisch alle US-Piloten des Zweiten Weltkriegs haben auf einer Stearman fliegen gelernt.

Erfolgreiches Schulflugzeug: praktisch alle US-Piloten des Zweiten Weltkriegs haben auf einer Stearman fliegen gelernt

Die Namensvielfalt der Maschine ist verwirrend, also klären wir das am besten gleich: 1934 wurde das Muster bei Stearman Aircraft als Model 75 entworfen – aber Boeing hat diese Firma noch im gleichen Jahr übernommen. Dennoch ist Stearman wohl der geläufigste Name für den Doppeldecker geblieben, obwohl er eigentlich bei Boeing gefertigt wurde und Stearman Aircraft auch etliche andere Modelle hergestellt hatte. Die U.S. Army Air Force gab dem Flugzeug je nach Motorisierung die Bezeichnungen PT-13, PT-17, PT-18 oder PT-27. Die Buchstaben stehen für „Primary Trainer“, also für die Anfängerschulung, in der das Muster eingesetzt wurde. Die offizielle Militärbezeichnung „Kaydet“ konnte sich nie durchsetzen. Bei der U.S. Navy hieß die Maschine N2S, je nach Triebwerk mit einer angehängten Nummer von 1 bis 5. Wir sitzen in einer N2S-3 mit einem Continental W670.

Turnen zum Tanken: Wer den Flächentank füllen will, muss hoch hinaus. Die passenden Trittstufen sind fest angebaut

Als Militärtrainer war die Stearman alternativ mit einem Lycoming-Sternmotor ausgerüstet, auch ein Jacobs-Triebwerk fand Verwendung. Und nach dem Krieg, als viele tausend Stearman an Zivilisten verkauft wurden, kamen Umbauten auf stärkere Sternmotoren in Mode, vor allem der Pratt & Whitney R-985 Wasp Junior mit 450 PS. Sprühflüge in der Landwirtschaft und Kunstflug auf Airshows wurden zum Hauptbetätigungsfeld der Stearman, da war die zusätzliche Power gut zu gebrauchen. Unsere Maschine mit Baujahr 1942 ist recht originalgetreu restauriert. Das gilt vor allem für die knallgelbe Lackierung mit roten Streifen – so wollte die Navy ihre Ausbildungsflugzeuge gut erkennbar machen, um Zusammenstöße in der Nähe der Schulflugplätze zu vermeiden. Wer Stearman fliegen will, muss erstmal klettern: An der Tankstelle in Schönhagen entert Jan-Peter Fischer über die vorne am Flugzeug genau an den richtigen Stellen angebrachten Trittstufen die Cowling.

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Über drei Meter hoch ragt die Vorderkante der Tragfläche! Ich reiche die Zapfpistole nach oben, Jan-Peter Fischer füllt den Tank im Flügelmittelteil. Zwar findet sich bei stärker motorisierten Stearman ab und an eine Verkleidung um die Zylinder, doch der richtige Look entsteht erst, wenn die Kühlrippen im Freien liegen. Vorsichtig dreht Fischer den Propeller von Hand mehrere Male durch. „Wenn Öl in die unteren Zylinder gelaufen ist, blockiert es den Kolben – mit der Kraft des Anlassers ist der Motor dann sofort hin“, erklärt der Pilot. Wir prüfen noch, ob ausreichend Öl im Tank ist: 17 Liter braucht der Sternmotor! Das Primen übernimmt am besten ein Helfer, denn die manuelle Einspritzpumpe dafür ist direkt hinter dem Motor an der Cowling angebracht. Da saß früher auch die Aufziehkurbel für den mechanischen Anlasser, der inzwischen durch einen elektrischen ersetzt wurde.

Die Restaurateure in den USA haben der Maschine auch einige Sichtfenster in der Bespannung verpasst, durch die sich Ruderanschlüsse und Flügelrippen auf Schäden prüfen lassen. Über die Tragflächen klettern wir Richtung Cockpit. Vorne, wo Passagier oder Copilot sitzen, hat die obere Tragfläche zwei praktische Griffe, an denen man sich auf den Sitz herablassen kann. Dennoch kommt man nicht hinein, ohne kurz auf die Sitzfläche zu treten. Zwei schmale Bretter mit viel unverkleidetem Zwischenraum bilden den Fußboden – wer daneben tritt, ist in der Bespannung. Links und rechts liegen die Steuerseile offen hinter den Stahlrohren des Rumpfgestells. Mit dem typischen Spornrad-Schwänzeln rollen wir zum Start: Fischer steuert die Maschine im Wechsel 20 Grad nach links und rechts, damit er sehen kann, was vor ihm auf dem Rollweg los ist. Einmal auf der Bahn rastet das Spornrad in Geradeaus-Stellung ein, sodass die Maschine weniger zum Ausbrechen neigt.

Das ist mein Spaßflugzeug! Ich will mich an dieser wunderschönen Art des Fliegens erfreuen“ – der Eigner der Stearman

Behäbig: Mit Querrudern nur an den unteren Flächen und 220 PS ist die N2S-3 nicht gerade wendig

Dann schieben wir das Gas nach vorn, der Continental legt los, und wir sind in der Luft. Alles an diesem Flugzeug ist gutmütig: Der Motor brüllt nicht, er brummt; auf Steuereingaben reagiert der Doppeldecker erst nach einer kurzen Denkpause, Langsamflug ist ebenso harmlos wie das, was hier als schnell durchgeht. Ja, einige Kunstflugfiguren sind möglich, aber wir lassen’s: „Wegen der geringen Rollrate fragst du dich beim Zeitlupen-Dreh durch die Rückenlage schon, warum du dir das angetan hast“, erklärt Fischer grinsend. Nur beim Landen, da muss wie bei jedem Spornrad-Flugzeug aufgepasst werden – zumal auf Asphalt, wo das kleine Rad die Spur schlechter hält.

Es gilt die alte Regel, nach der ein Flug erst beendet ist, wenn die Maschine vor dem Hangar parkt. Warum kauft man sich so ein Flugzeug? Der Eigner, der ungenannt bleiben möchte, antwortet spontan: „Das ist mein Spaßflugzeug! Ich will mich an dieser wunderschönen Art des Fliegens erfreuen.“ Im offenen Cockpit eines Doppeldeckers, den satten Sound eines Sternmotors im Ohr, mit dem lauen Wind, der am Pelzkragen zerrt – ja, ich verstehe sofort, was er meint. Diese Fliegerei hat mit Transport gar nichts zu tun. Hier geht es schlicht um die Liebe zur Luft.

Fotos: Christina Scheunemann, fliegermagazin 3/2014

Technische Daten
Boeing N2S-3 Stearman
  • Stearman Aircraft Division of Boeing Airplane Company, Wichita, Kansas
  • 9,80 (oben) / 9,50 m (unten)
  • 28,44 qm
  • 7,64 m
  • 3,12 m
  • 1010 kg
  • 1338 kg
  • 174 l
  • Continental W670-6N / 220 PS
  • McCauley 2-Blatt, Metall, am Boden einstellbar
  • ca. 55 l/h bei 75 %
  • 183 m
  • 800 fpm
Über den Autor
Thomas Borchert

Thomas Borchert begann 1983 in Uetersen mit dem Segelfliegen. Es folgte eine Motorsegler-Lizenz und schließlich die PPL in den USA, die dann in Deutschland umgeschrieben wurde. 2006 kam die Instrumentenflugberechtigung hinzu. Der 1962 geborene Diplom-Physiker kam Anfang 2009 vom stern zum fliegermagazin. Er fliegt derzeit vor allem Chartermaschinen vom Typ Cirrus SR22T, am liebsten auf längeren Reisen und gerne auch in den USA.

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