Flugzeug-Porträt: Demoiselle II von Weller Flugzeugbau
Drei Jahrzehnte hat es gedauert, bis Flugzeugbauer Roman Weller jenem Gerät gegenüberstand, in das er sich im Kino verliebt hatte: dem Film-Nachbau der famosen Demoiselle. Seine Version dieses Typs aus den Pioniertagen der Fliegerei dreht mit vorläufiger UL-Zulassung ihre Runden
Hans-Grade-Museum in Borkheide bei Potsdam. Hier wird eine der beiden Demoiselle aus der unverwüstlichen Filmklamotte „Die Tollkühnen Männer in ihren fliegenden Kisten“ (siehe unten) aufbewahrt. Für einen Moment steht Roman Weller wie angewurzelt da und stammelt in seinem schwäbischen Dialekt sowas wie „Do ische …“ (da ist sie) – mehr zu sich als zu sonst wem. Neben ihm stehend ahne ich genau so wenig wie er, dass ich vier Jahre später eine Demoiselle von ihm kaufen werde. Wir teilen jene schrullige Leidenschaft für die charaktervollen Flugmaschinen vor 1914, als in der brandneuen „Schwerer-als-Luft“-Fliegerei noch viel getüftelt wurde und (fast) nichts unmöglich schien. Die erste Version der Libelle, so die gängige Übersetzung von „Demoiselle“, sauste schon 1909 über Issy-les-Moulineaux bei Paris herum.
Das Maschinchen, eine Schöpfung des brasilianischen Luftfahrt-Pioniers Alberto Santos-Dumont, bestand fast komplett aus Bambusrohr und Büchsenblech, wog rund 140 Kilo und gilt als erstes echtes Sportflugzeug – trotz seiner haarsträubenden Flugeigenschaften. Nach heutigen Maßstäben wäre das Muster ein UL der Rohr-Tuch-Generation. Wie bei vielen anderen Piloten entzündete sich Roman Wellers Begeisterung fürs Fliegen an „Die Tollkühnen Männer …“. Ein halbes Dutzend flugfähiger Nachbauten von Aviatik-Klassikern werten den Film enorm auf; die Demoiselle gehört zwingend dazu. Nicht ohne Verrenkungen darf ich mich in Borkenheide auf den kahlen Sitz des Filmflugzeugs winden. Dann ist Roman dran – mühelos schwingt er sich in den Sitzkäfig. Ein guter Anfang! Noch im selben Jahr, 2004, macht er sich an die Arbeit. In Borkenheide nimmt er sorgfältig Maß für die neue Demoiselle, die ein paar unauffällige Modifikationen bekommen muss, soviel ist ihm gleich klar.
Fliegende Kiste: Die Original-Demoiselle war 1909 das erste echte Sportflugzeug. Auch der UL-Nachbau fliegt sich sportlich
Die Dimensionen bleiben freilich unverändert. Der Motorträger für den 40-PS-Stamo (VW-Boxer) wird statisch verfeinert. Ansonsten behält der Stahlrohrrumpf sein typisches Gewirr aus Draht und Spannschlössern, das ihm die nötige Torsionssteifigkeit verleiht. Ein effektiveres Flügelprofil und Hauptholme aus Alurohr – damit dürfte die Sache im Wesentlichen geritzt sein. Der OUV-Veteran Otto Bartsch, stets zugänglich für originelle Projekte, feilt bald am ersten Baugutachten. Kein Jahr später, an einem brüllend heißen Samstagnachmittag im September 2005, tut sich Erstaunliches auf dem kleinen Flugplatz Mittelfischach, den alle nur Mifi nennen, südlich von Schwäbisch Hall. Es ist Hahnweide-Wochenende, ein Pflichttermin für Luftfahrt-Journalisten, doch statt mit meinen Kollegen auf dem Oldtimer-Fliegertreffen herumzuwichteln, sehe und höre ich Romans Demoiselle-Nachbau über die Grasnarbe fetzen, hin und her.
Der röhrende Stamo müht sich redlich – und bringt doch nichts anderes in die Luft als den Schleifsporn. Die „Libelle“ will einfach nicht dorthin, wohin sie hin soll! Das Spektaktel ist nicht ohne Komik, eine Handvoll Zuschauer grinsen schon. Bauprüfer Achim Merklinger, einen Doppelzentner schwer, hat schließlich genug von der Raserei und steigt aus. Jetzt nimmt der zusehends konsternierte Erbauer selbst ein paarmal Anlauf – und rumpelt mit seinem unbremsbaren Vehikel fast in einen Bach. In letzter Not hat Roman die blanken Hände um die Speichenräder gekrallt. Folge: verbrannte Fingerkuppen. Es reicht! Genug getestet, heute wird das nichts mehr. Was ist faul? Ganz einfach; es sind die selben Probleme, mit denen man sich auch 1964 herumschlagen musste: Schwerpunktlage, Pilotengewicht, Motorleistung. Im Anschluss an die ernüchternde Nicht-Flugerfahrung sitzt man noch lange beisammen.
Verfahrensbesprechung, Ideen, Vorschläge. Jedem fällt was anderes ein. Klar ist, dass noch einiges getan werden muss, um die zickige Demoiselle zu einem Flugzeug zu machen. Doch dann geschieht lange Zeit nichts. Die ungeflogene Repro wandert zerlegt in eine Scheune und gerät ein Stück weit in Vergessenheit. Weller-Flugzeugbau hat andere Projekte und genug Arbeit. Es dauert fast drei Jahre, bis sich der Konstrukteur von dem Stück trennen mag. Damals in Mifi hat mich niemand zum Probieren aufgefordert, jetzt, Ostern 2008, will ich mir die Gelegenheit nicht mehr entgehen lassen! Roman hat viel Zeit und Arbeit investiert, sein Flieger scheint mir zu 95 Prozent fertig. Ein solch reizvolles Einzelstück, flugtüchtig oder nicht, gönnt man nicht jedem. Aber wir kennen uns, und ohne Zocken wechselt die Demoiselle den Besitzer. Per Tieflader rollt sie in die heimische Bastelbude bei Amberg in der Oberpfalz.
Man muss kein Luftfahrt-Ingenieur sein, um zu erkennen, was dem Gerät fehlt: ein leichtes Triebwerk, ein korrekter Schwerpunkt (noch viel zu weit hinten) und eine geschlossenen Tragfläche, dort, wo in der Mitte eine Lücke klafft. Etwas mehr Spannweite und Flügelfäche könnten auch nicht schaden. Otto Bartsch, der Gutachter, wird über die Umbaumaßnahmen informiert und gibt seinen Segen. Auf dem neuen Motorträger sitzt bald ein Rotax 462 mit Riemenuntersetzung und riesigem Holzpropeller. Das Zweitakter hat 38 PS und stammt aus dem Wrack eines Sherpa-Doppelsitzers. Für den Einsitzer allemal ausreichend, so die Überlegung. Ein Trugschluss, wie sich herausstellen sollte. Dann wird alles nach vorne verfrachtet, was sich woanders montieren lässt. Am einfachsten geht das noch mit dem Sitz und den Pedalen.
Verbesserung: Nach den ersten Flugversuchen erhalten die Flügel des UL-Nachbaus ein zusätzliches Rippenfeld
Als effektivstes Trimmgewicht erweist sich das zehn Kilo schwere BRS-Rettungssystem, das jetzt wie ein Fremdkörper zwischen Reversierstarter und Schalldämpfer sitzt. Aber es wuchtet den Schwerpunkt ins gesunde vordere Drittel. Perfekt! Die 38 Zentimeter breite Kluft zwischen den Flügeln dürfte eine dramatische Wirbelschleppe erzeugt haben. Sie wird mit Sperrholz und verzurrter Leinwand verschlossen, wie man es oft bei Fluggeräten jener Epoche findet. Zu guter Letzt erhält jede Flügelseite ein zusätzliches Rippenfeld. Dadurch wächst die Spannweite auf 6,8 Meter, was einer Streckung von knapp 3,5 entspricht. Immer noch nicht üppig. Das Leergewicht pendelt sich nun bei 195 Kilo ein, weniger als vorher. Nächster Anlauf im Juli 2010 auf dem Segelflugplatz meiner Heimstadt. Beim traditionellen Flugtag steht der drahtige Vogel noch als begafftes Schaustück herum.
Doch am folgenden Montagabend guckt kaum jemand, als sich die Demoiselle erstmals vom Erdboden löst. Eigentlich sind nur Rollversuche vorgesehen. Doch an einer Bodenwelle hört unerwartet das Poltern auf, und siehe da: Es reicht für einen netten stabilen Sprung. Okay! Inzwischen habe ich die Vorläufige Verkehrszulassung in der Tasche. Zweiter „Erstflug“ am 29. September 2011 auf dem UL-Platz Pilsach bei Neumarkt. Der ist nur 300 Meter lang. Was hier zu starten versucht und keine Bremsen hat, muss in die Luft! Das Ergebnis: Nach geruhsamem Startlauf bleiben im Steigflug nur magere 0,3 Meter pro Sekunde übrig. Das Bahnende minimiert weitere Optionen. Also weiter. In kaum 20 Metern über Grund ist dann ganz Schluss mit Steigen. Die Fahrt steht trotz Vollgas stur bei 70 km/h, während genau in Flugrichtung der weiß-blau geschmückte „Kirwabaam“ (Kirchweihbaum) des Dörfchens Litzlohe in bedrohliche Nähe rückt. Schockstarre beim Piloten.
Eine Außenlandung auf freiem Feld – ein aufgebrochener Acker – scheint nicht ratsam. Also gaaaanz flach schiebend nach rechts gekurvt, mit Höhenverlust, sachte zurück auf den Flugplatz und fallen lassen. „Nie wieder!“ Doch was man sich nach solchen Flügen spontan verspricht, weicht einem Grübeln und der Suche nach Lösungen. Die abgewürgte Deutschland-Version des Rotax 462 wird es wohl nicht packen; die schärfere US-Version mit 52 PS muss her! Und ein B-Getriebe, weil die Zahnriemen-Untersetzung von der erhöhten Leistung überfordert ist. Das allerdings zwingt zum Wechsel auf einen linksdrehenden Propeller.Roman liefert den neuen Quirl just zum 100-jährigen Bestehen des Flugplatzes Lachen-Speyerdorf im September 2012. Gerhard Rapp, Schriftführer des dortigen Flugsportvereins, hat mich und die Demoiselle eingeladen – wenigstens zum Rumstehen.
Nach der Veranstaltung lässt mich Motorflug-Referent Thomas Jülch den Apparat in seinem Privat-Hangar überwintern. Lachen-Speyerdorf bietet die ersehnte Gelegenheit, die frisch motorisierte Demoiselle unter Idealbedingungen zu erproben: eine 1000 Meter lange Grasbahn, 30 Meter breit. Derartige Flugplätze mit langer Geschichte und großzügigem Grundriss sind hierzulande selten geworden. Und die entspannten Pfälzer lassen sich solche Extratouren gefallen; liegt vielleicht am Wein. Am 24. Juni 2013 ist es wieder soweit: Dritter „Erstflug“. Die 52 PS machen sich bemerkbar, und nach rasanter Beschleunigung springt der Eindecker diesmal förmlich in sein Element. Das Vario zeigt akzeptable 1,5 Meter pro Sekunde Steigen. Die Fahrt steht bei sicheren 80 bis 85 km/h. Der Rotax jault mit 6500 rpm, Reduzieren auf 5800 ist möglich. Das sowohl um die Quer- als auch um die Hochachse gelagerte Pendelleitwerk reagiert nur im strammen Propellerstrahl richtig gut.
Neues Zuhause: Mit dem Besitzerwechsel ändert sich die Motorisierung
Die rechte Fläche muss ständig mit etwas Querruder gestützt werden, womöglich wegen des Propellerdralls. Ansonsten nichts Bedenkliches. Außer dem Gefühl, nicht wirklich Captain an Bord zu sein – als müsse man den eigenwillien Apparat ein bisschen mitspielen lassen. Nach ein paar Flugminuten mit zwei weiten Platzrunden und „Eierlandung“ ist man schlauer. Alles eine Frage der Geschwindigkeit. Doch der enge Performance-Rahmen ist nicht zu verheimlichen. Erlaubte Seitenwindkomponente: am besten Null. Zwischen Maximal- und Minimalfahrt liegen gerade mal 25 bis 30 km/h. Spektakuläre Schräglagen sind zu meiden; Ausleiten aus einem Spiralsturz könnte mit dem arg klein geratenen Wackelleitwerk schwierig werden. Im Steigflug sollte man nicht kurven, und vor dem Einleiten einer etwas steileren Kurve lohnt es sich, per Nachdrücken einen Schluck Fahrt zu tanken.
Dann der erste Demoiselle-Auftritt vor großem Publikum beim Lachen-Speyerdorfer Hallenfest im August 2015. Ganz am Schluss, am Abend dieses langen heißen Samstags, als die Besucher schon ans Gehen denken und der Windsack endlich wie aus Gusseisen herabhängt, wage ich mich an den Start. Alle finden meinen Intergralhelm potthässlich und empfehlen eine stilechte Lederhaube. Zudem knallt der Helm ständig gegen die Wurzelrippen, wenn ich den Kopf drehe. Aber ich fühle mich bedeutend wohler in dieser Rüstung; es ist erst mein achter Demoiselle-Start seit Beginn der Flugerprobung im Sommer 2010. Viel entspannter als damals klappt alles prima. Ganz selbstverständlich knattert die dürre „Libelle“ über den 1912 gegründeten Traditionsflugplatz, zirkelt eine Liegende Acht und wackelt zum Abschied sogar noch mit den stummeligen Tragflächen. Nach der Landung sind die ersten 60 Flugminuten voll, und die Verkehrszulassung ist fast schon in Reichweite. Gute Dinge brauchen manchmal etwas länger.
Die Demoiselle im Film
Mit großem Aufwand und Star-Besetzung wurde 1964 in Südengland die US-Produktion „Die Tollkühnen Männer in ihren fliegenden Kisten“ gedreht. Was den Fliegerfilm so bemerkenswert macht: Die meisten der für die Komödie über ein Luftrennen von London nach Paris anno 1910 gefertigten Nachbauten sind flugtüchtig. Die Aufträge wurden 1963 an Werkstätten in England verteilt. Bei Personal Plane Services Ltd. am Flugplatz White Waltham, Berkshire, bestellte man zwei Demoiselle. Alles musste in wenigen Monaten erledigt sein. Doch der Zeitplan war nicht zu halten, und so fand die Flugerprobung quasi während der Dreharbeiten statt. Mit ihren gut sechs Metern Spannweite war die Demoiselle das kleinste und agilste Flugzeug in der Film-Flotte.
Haarscharf zog sie über Hangardächer und Heuhaufen hinweg und verschreckte damit den preußischen Oberst Manfred von Holstein (eine Paraderolle für Gerd Fröbe) ebenso wie den treudoofen Hauptmann Rumpelstoss (Karl-Michael Vogler). Bei diesen anspruchsvollen Szenen saß eine Frau im Cockpit: die Fluglehrerin und Testpilotin Joan Hughes (1918 – 1993). Im Zweiten Weltkrieg hatte sie britische Bomber von Fabriken zu RAF-Flugplätzen überführt. Aus gutem Grund steuerte sie 1964 den Winzling: Nur sie war mit ihren 50 Kilogramm Körpergewicht imstande, den 165 Kilo schweren Apparat mit seiner düftigen Flügelstreckung von 3 überhaupt vom Boden loszueisen.
Heute fliegt keine der Demoiselles aus „Die tollkühnen Männer …“ mehr. Nach der Werbetour für den Film (die Maschinen wurden zur Premiere vor Großstadt-Kinos aufgebaut) verschenkte die Produktionsfirma 20th CenturyFox beide Exemplare an Museen. Eines ist als Leihgabe des Deutschen Technik Museums Berlin im Borkenheider Hans-Grade-Museum eingelagert, das andere hat’s bis nach Ballarat in Australien verschlagen.
Text: Stefan Bartmann; Fotos: Stefan Bartmann, Robert Kapper, Roman Weller, Deutsche Kinemathek; fliegermagazin 12/2016
- D-MWFD
- 2005
- 6,85 m
- 13,70 qm
- 6,60 m
- 1,95 m
- 195 kg
- 320 kg
- 35 l
- Rotax 462/52 PS bei 6500 rpm (2-Takt-Zweizylinder, wassergekühlt)
- Weller, 2-Blatt, Holz, fest, 1,64 m
- (noch nicht erflogen)
- ca. 165 km plus 30 Min. Reserve
- Ultraleicht
- Demoiselle
- Rotax 462
- Repro
- Oldtimer-Fliegertreffen
- Hans-Grade-Museum
- Demoiselle II
- Die Tollkühnen Männer in ihren fliegenden Kisten
- Roman Weller
- Weller Flugzeugbau