Flugzeug-Porträt: Extra 330LE mit Elektroantrieb
Das Kennzeichen ist Programm: D-EPWR – Elektro-Power. Um nicht weniger als die Zukunft des elektrischen Fliegens ging es Anfang Juli am Flugplatz Dinslaken Schwarze Heide beim ersten öffentlichen Flug der Extra 330LE. Siemens, Airbus und weitere Firmen wollen diese Zukunft gemeinsam gestalten
Rund zehn Minuten war Kunstflug-Legende Walter Extra mit der Extra 330LE am 4. Juli in der Luft, beobachtet von zahlreichen Journalisten. Es war der erste Flug des elektrifizierten Kunstflug-Boliden in der Öffentlichkeit, während der „scharfe“ Erstflug bereits am 24. Juni über die Bühne ging. Das Display: Looping, ein paar sanfte Figuren und als Höhepunkt eine ausdrücklich von der EASA genehmigte Rolle. +4/–4 g, das ist das vorläufige Limit der elektrisch angetriebenen Extra, weit weniger, als die Zelle wegstecken könnte. Rückenflug? Tabu. Auch bei der Geschwindigkeit sollen 180 Knoten erst mal genug sein. Maximale Flugzeit: etwa 20 Minuten, danach geht der Einsitzer für vier Stunden ans Ladegerät. All das sind Werte, die das Potenzial von Pilot und Flugzeug nicht annähernd ausschöpfen. Doch um Bestleistungen ging es bei diesem Flug auch gar nicht.
Vielmehr soll der Erstflug der elektrisch angetriebenen Extra mit Siemens-Motor als erster Schritt auf dem weiten Weg zu Größerem verstanden werden. „Das Flugzeug hat sich wie erwartet verhalten, es gab keine Überraschungen“, sagte ein sichtlich zufriedener Walter Extra nach der Landung. Eine Besonderheit gab es dann doch: „Der Hebel zum Abstellen des Motors fehlt.“ Das Triebwerksmanagement bei einem Elektromotor ist im Vergleich zum Verbrenner erfreulich einfach. „Heute ist ein Tag, der die Luftfahrt verändern wird. Zum ersten Mal ist ein Flugzeug in der Leistungsklasse von einem Viertel Megawatt elektrisch geflogen“, sagte Dr. Frank Anton, Leiter eAircraft bei der zentralen Siemens-Forschung Corporate Technology, der für die Entwicklung des Elektromotors maßgeblich verantwortlich ist. Er betonte, dass es den beteiligten Unternehmen um weit mehr geht als nur darum, ein Kunstflugzeug mit elektrischer Energie in die Luft zu bringen.
Energiewende: Technologieträger Extra 330LE
Gemeinsames Fernziel ist es, deutlich größere Kaliber mit hybriden Antrieben auszurüsten: „Bis 2030 erwarten wir erste Maschinen mit bis zu 100 Passagieren und rund 1000 Kilometern Reichweite.“ Auf dem Weg dorthin sehen die Siemens-Ingenieure elektrifizierte Flugzeuge aus der Allgemeinen Luftfahrt. Federführend sind die Konzerne Siemens und Airbus, die im April eine Kooperation in Sachen Elektroflug besiegelt haben. Zudem sind weitere Firmen aus der Luftfahrt mit an Bord: Extra aus Hünxe liefert die Zelle der 330LE, die Akkus kommen vom slowenischen Leichtflugzeugbauer Pipistrel, und MT-Propeller aus Straubing hat einen auf elektrische Antriebe optimierten Prop eingebracht. Hintergrund ist die europaweite Luftfahrtstrategie namens Flightpath 2050. Darin geht es unter anderem darum, bei steigendem Luftverkehrsaufkommen die CO2-Emissionen um 75 Prozent gegenüber dem Jahr 2000 zu senken.
Gleichzeitig braucht man Antriebstechnologien, und genau dort setzen die Siemens AG und ihre Partner an. Die Extra 330LE dient als Technologieträger. Kurze Flüge sind ihre Domäne, sodass die eingeschränkte Akkukapazität nicht allzu sehr ins Gewicht fällt. Sie eignet sich zudem perfekt, um die Grenzen der elektrischen Systeme unter hohen Lasten auszuloten. Ihre Gemischtbauweise mit Gitterrohrrumpf lässt viele Freiheiten für den Einbau neuer Komponenten. Die elektrische Extra startet innerhalb der üblichen Betriebsgrenzen mit rund 1000 Kilogramm Abflugmasse. Zwei jeweils 18,6 kWh fassende Lithium-Polymer-Akkupacks sind an Bord, zusammen wiegen sie 300 Kilo. Der eine ist auf dem Vordersitz untergebracht, der andere Firewall-forward. Dazu kommt der 50 Kilo leichte Motor. Zum Vergleich: Der konventionelle Lycoming-Antrieb mit 315 PS wiegt etwa 270 Kilo.
Der Fokus der Entwicklung liegt nicht auf den Akkus, sondern auf dem Siemens-Elektromotor namens SP-260 DP. Er ist das Sahnestück des Flugzeugs: Maximal 260 kW leistet er und stemmt über sein gesamtes Drehzahlband 1000 Nm Drehmoment auf den MT-Propeller. Der Antrieb dreht, untypisch für einen Elektromotor, mit 2500 rpm so niedrig, dass kein Getriebe erforderlich ist. Der Wirkungsgrad liegt bei 95 Prozent, überflüssige Wärme leitet eine Flüssigkeitskühlung ab. Vier Jahre für Entwicklung und Bodentests stecken in diesem Motor, dessen Hauptvorteil Dr. Frank Anton in der Skalierbarkeit sieht: „Die Technologie ist derzeit gut für Leistungen bis zu einem Megawatt.“ Genug Power für ein zweimotoriges Flugzeug mit bis zu 19 Sitzen. Supraleitende Technologien für fünf bis zehn Megawatt werden untersucht. 580 Volt liegen heute am Motor an, bis zu 3000 Volt könnten es bei künftigen System werden.
Angestrebt werden Hybridantriebe für bis zu 1000 Kilometer Reichweite, also eine Kombination aus elektrischem und konventionellem Antrieb. Bis 2020 sollen erste Machbarkeitsstudien fertig sein. Die Extra 330LE ist das erste elektrisch angetriebene Flugzeug, dessen Zelle nach CS-23 zertifiziert ist. Derzeit fliegt sie auf Basis eines Permit to fly des LBA, die Flight Conditions hat die europäischen Luftfahrtbehörde EASA ausgestellt. Die Zusammenarbeit mit den Behörden ist wesentlicher Teil des Projekts, denn es gilt, Zulassungsvorschriften für elektrische Antriebe zu erarbeiten. Schon jetzt bietet das elektrische Fliegen einige Vorteile – ein ganz wesentlicher ist der Lärm. Beim Erstflug war die Extra 330LE hörbar leiser unterwegs als ihre Schwestern mit Avgas im Tank. „Wir können die Energierversorgung von der Schuberzeugung trennen“, erklärt Anton das Rezept, um ein elektrisches Flugzeug leise zu machen.
Unter Spannung: Das elektrische Kunstflugzeug ist eine ideale Testplattform für Antrieb und Akkus
Zudem bietet der Propeller noch Spielraum für Optimierungen. MT-Propeller hat die Luftschraube zwar schon jetzt auf die Besonderheiten des elektrischen Antriebs zugeschnitten, das Potenzial aber längst nicht ausgeschöpft. 200 Mitarbeiter bei Siemens und Airbus sind involviert, auf der Kostenseite steht ein dreistelliger Millionenbetrag, teilweise gefördert durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie. Siemens möchte mit dem Elektroantrieb ein neues Geschäftsfeld erschließen. Gleichzeitig ist die Entwicklung elektrischer Antriebe das erste Projekt einer neuen Start-up-Organisation namens next47.
Text & Fotos: Patrick Holland-Moritz, fliegermagazin 9/2016
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