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Vor über 100 Jahren: Das extravagante Flugschiff Do X fliegt

Sie begann als militärisches Auftragsprojekt und entwickelte sich zum fliegenden Luxusdampfer. Bereits die schiere Größe der zwölfmotorigen Do X hat viele beeindruckt – doch gebraucht wurde sie nicht.

Von Redaktion
Vor über 100 Jahren: Das extravagante Flugschiff Do X fliegt
Gigantisch: 12 Motoren, 7680 PS, 52 Tonnen MTOW, Platz für 169 Personen – die Do X sprengt zu ihrer Zeit alle gängigen Dimensionen.

Selbst wer sich kaum für Luftfahrtgeschichte interessiert, dürfte von der Do X gehört haben – von ihren beeindruckenden Dimensionen und Leistungen, von der stattlichen Zahl ihrer Triebwerke, von ihren Fernflügen. Claude Dorniers extravagantes „Flugschiff“ steht ganz für sich und hat keine Vorbilder, ein Solitär, der mit Alleinstellungsmerkmalen glänzt. Die nüchterne Seite: Unterm Strich ging die Rechnung nicht auf, weshalb der Gigant schon nach ein paar hundert Flugstunden in die Deutsche Luftfahrtsammlung in Berlin wanderte, wo er im Krieg ein schäbiges Ende fand.

Aus eigener Kraft hätte die Dornier Metallbauten GmbH in Manzell am Bodensee das Do X-Projekt niemals gestemmt. Seit Herbst 1925 strichelt Claude Dornier – der bei Zeppelin großformatiges Denken gelernt hatte – an dem Entwurf. Hinter der Auftragsarbeit versteckt sich die Reichsmarine. Das Deutsche Reich musste erst eine ominöse Gesellschaft gründen, die Konstruktion und Bau finanziert; ganz legal war das nicht im Schatten des Versailler Vertrages. In Altenrhein, auf der Schweizer Seite des Bodensees, wurde eigens zum Bau der Do X ein neues Werk errichtet.

Do X: Hinter der Auftragsarbeit versteckte sich die Reichsmarine

Im Sommer 1927 macht das Berliner Tagblatt das krumme Finanzierungsmodell aus schwarzen Marinekassen öffentlich. Der Skandal sorgt dafür, dass ab Juni 1928 das Reichsverkehrsministerium (RVM) als neuer Geldgeber einspringen muss. Das macht Sinn: Lindberghs Atlantikflug vom Mai ’27 hat die Möglichkeiten des interkontinentalen Flugverkehrs mit einem Knalleffekt aufgezeigt. Und die staatliche Luft Hansa wäre gern dabei.

ErstflugErstflug
Vor dem Erstflug: Noch sind Sternmotoren von Siemens montiert – die Reichsmarine hat auf deutschen Triebwerken bestanden.

Der Erstflug der Do X am 12. Juli 1929 soll sich unbeabsichtigt vollzogen haben, wenn man den Schilderungen von Flugkapitän Richard Wagner, Chefpilot bei Dornier, glauben mag. An diesem Morgen war das Ergebnis von 570 Tagen Arbeit ins Freie gewuchtet worden, hinaus auf den Bodensee. Um 9.30 Uhr kann Wagner das 35 Tonnen schwere „Hotelschiff“ (wie es eine Zeitung danach nennen wird) nicht mehr halten und lupft es mühelos auf ein paar Meter Höhe. Danach läuft die Flugerprobung an.

Gewichtsrekord: Die Do X überzeugt mit ihrer Nutzlast

Als Zweifel an der Nutzlast aufkommen, entschließt sich Dornier zu einem Coup, um die Presse von der Tragfähigkeit der Do X zu überzeugen. Am 21. Oktober liegt Nebel über dem Bodensee. An diesem Montag erklimmen 159 Passagiere, meist Dornier-Mitarbeiter und deren Familien, sowie zehn Besatzungsmitglieder das Flugschiff. Auch Claude Dornier geht an Bord. Noch ist die Kabine karg ausgestattet; man muss sich mit leichten Korbstühlen begnügen. Nach langem Startlauf heben sich 44,7 Tonnen in die Luft. Dann brummt die Do X eine knappe Stunde lang über Bregenz, Lindau und Friedrichshafen. Dieser (inoffizielle) Gewichtsrekord hält sich zwei Jahrzehnte.

Claude DornierClaude Dornier
Der Konstrukteur geht an Bord: Claude Dornier (mit Hut) setzt überhöhte Hoffnungen auf sein Flugschiff. Bei Zeppelin hat er großformatiges Denken gelernt.

Bis zum Februar 1930 fliegt die Do X in 37 Stunden 71-mal; sie gilt als hinreichend erprobt. Doch ein großer Umbau steht noch an. Die Reichsmarine, der ursprüngliche Auftraggeber, hatte auf die Verwendung deutscher Motoren bestanden, womit sich der militärische Charakter des Projekts offenbart. Doch die Siemens-Jupiter-Sternmotoren (einen britischer Lizenzbau) erweisen sich bei Dauerlast als überfordert. Der Wechsel auf wassergekühlte Curtiss-Conqueror bringt nun insgesamt 7680 PS auf die Fläche.

Mit neuen Motoren war die Do X für eine Fernreise gerüstet

Mit diesen standfesten Antrieben, die der US-Hersteller leihweise zur Verfügung stellt, scheint die Do X für eine Atlantik-Fernreise gerüstet – praktisch eine Verkaufstournee. Sie wird deutlich länger dauern als geplant, nämlich eineinhalb Jahre. Dieser Trip zeigt aber auch die Grenzen von Konzept und Logistik auf. Jedenfalls wird die Do X die Mechaniker auf Trab halten. Dornier hat sich die Maschine vom Besitzer, dem RVM, geliehen. Gratis.

US-PowerUS-Power
US-Power: Erst mit den Reihenmotoren von Curtiss hat das Flugzeug genügend Leistung. Bei der Bezahlung der Triebwerke muss der Staat helfen.

Start auf dem Bodensee am 5. November 1931. Die Reichweite des Flugschiffs liegt bei höchstens 2300 Kilometern, also kommt man nur in Etappen vorwärts. Ohne Rückschläge und Zwangsaufenthalte geht die Mammut-Tour nicht ab. So gerät schon Ende November in Lissabon die teilweise mit Stoff bespannte Tragfläche in Brand, als eine Abdeckplane über einen heißen Motor geweht wird. Erst nach acht Wochen ist die Reparatur erledigt. Beim Start vor Las Palmas, Kanaren, wird die Do X in der hohen Dünung beschädigt; der Flug über den Südatlantik muss drei Monate warten.

ZwangspauseZwangspause
Zwangsaufenthalt: In Lissabon verbrennt die Bespannung der linken Fläche, die Reparatur dauert acht Wochen. Es ist nicht der einzige Rückschlag.

Nach Startschwierigkeiten gelangt die Do X nach New York

Der Weiterflug über Rio und New York entwickelt sich zum Triumphzug. Doch es ist keine gute Zeit für große Deals in der Luftfahrt, als die D-1929 am 27. August 1931 glatt im Hafen vor Manhattan aufsetzt; die Wirtschaft leidet noch unter dem Börsencrash von 1929. Auf der Battery drängeln sich die Schaulustigen, und die Schlagzeilen sind ihr sicher, aber kein Amerikaner will das deutsche Flugschiff kaufen. Selbst der US-Flugzeugbau ist nicht ausgelastet. Das RVM hatte sich Hoffnungen gemacht, die sich nun allmählich in Luft auflösen. Die holprige Reise seiner bewunderten Schöpfung treibt Dorniers Firma derweil an den Rand des Ruins. Jedenfalls muss der Staat helfend eingreifen, als Curtiss seine zwölf Motoren bezahlt haben will.

BesichtigungBesichtigung
Bestaunt: Die Besichtigung der D-1929 in New York kostet 50 Cent Eintritt. Finanzielle Probleme halten den Riesen monatelang im Trockendock fest.

Monate vergehen, bis alles geregelt ist. Erst am 19. Mai 1932 startet Flugkapitän Friedrich Christiansen die unverkäufliche Do X zum Heimflug, fünf Tage später landet sie in Berlin. Der Müggelsee, auf dem sie dümpelt, wird einen Monat lang zum Ausflugsziel für die Berliner. Im nahen RVM denkt man unterdessen über die weitere Verwendung des unverkäuflichen Flugschiffs nach.

Grundüberholung: Der Fernflug hat der Do X einiges abverlangt

Der Fernflug hat der Do-X-Zelle einiges abverlangt; eigentlich ist eine Grundüberholung fällig. Der Rückflug zur Donier-Werft wird als Tournee geplant und soll Geld in die Kasse spülen. Am 23. Juni 1932 geht’s los – von Berlin zu Ost- und Nordsee, zum Rhein und schließlich hinunter an den Bodensee, wo man im November ankommt. Über den Winter wird die Do X auf Vordermann gebracht. Doch wozu eigentlich?

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Die politische Landschaft in Deutschland ändert sich gerade dramatisch. Das am 1. April 1933 gegründete Reichsluftfahrtministerium (RLM) wirft einen stocknüchternen Blick auf die Do X, quasi ein Erbstück der ungeliebten Weimarer Republik, und entscheidet über ihr weiteres Schicksal. Ein letztes Mal soll das Flugschiff auf große Reise gehen, jetzt in südliche Richtung, die Donau hinab bis Istanbul. Doch es kommt nicht über Bayern hinaus. Am 29. April 1933 landet die Do X auf dem Starnberger See, wo überraschend der neue Reichskanzler für einen Rundflug zusteigt und eine Zeitlang am wuchtigen Steuerrad Pilot spielt.

Eine harte Landung auf der Donau-Stufe besiegelt das Ende der Do X

Am Abend des 9. Mai setzt Flugkapitän Horst Merz, vom Chiemsee kommend, den Koloss um etwa 25 km/h zu schnell auf die Donau-Staustufe vor Passau; er hat einem Gewitter zuvorkommen wollen. Bilder halten den unwirklichen Moment fest, als dem steil angestellten Rumpf das komplette Leitwerk in einer Gischtwolke abhanden kommt. Die Reparatur vor Ort, unter primitiven Bedingungen, zieht sich vier Monate hin.

Richard Wagner, der vier Jahre davor den Erstflug vollzogen hatte, bleibt die ehrenvolle Aufgabe, die Do X am 5. September 1933 dorthin zu bringen, wo sie mit großen Hoffnungen gebaut worden war. Bald danach hat das RLM endgültig genug von dem defizitären Prestigevogel.

Die Do X wird zerlegt und in ein Museum verfrachtet

Im Oktober 1934 folgt ein letzter Propaganda-Flug von Altenrhein an die Nord- und die Ostsee, Endstation Travemünde. Dort wird die Do X im Frühjahr 1935 zerlegt und auf dem Wasserweg zum Berliner Westhafen verfrachtet. In der Deutschen Luftfahrtsammlung (DLS) im Lehrter Bahnhof ist sie das größte Objekt. Im Krieg wird ihr dies zum Verhängnis. Zu sperrig für eine Auslagerung wird sie im November 1943 von einer britischen Luftmine beschädigt. Danach verschwindet die Do X Stück für Stück. Das stolze Flugschiff endet als Altmetall.

Die Do X – eine Erfolgsgeschichte? Wie man’s nimmt. Für die Geschichtsbücher hat es gereicht, die Zukunft gehörte bekanntlich dem Landflugzeug. Technisch war das Flugschiff ein respektabler Kraftakt, ein Triumph des Willens, doch es blieb ein ewiger Prototyp – und kommerziell Claude Dorniers größte Enttäuschung.

Text: Stefan Bartmann

Technische Daten
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