Firmenportrait: Silence Aircraft
Mit dem Ultraleichtflugzeug Twister hat Silence Aircraft angefangen. Mittlerweile produzieren die Strieker-Brüder Formen für Composite-Teile anderer Hersteller.
David Bowie hatte einen Song im Kopf. Aber es war nur die Idee eines Songs, er kam nicht weiter. Instrumentierung, Mitmusiker, Arrangement, Sound, Effekte, Aufnahmestudio – alles offene Fragen. Er wandte sich an Produzent Tony Visconti. Der half und machte aus Bowies Idee etwas Grandioses: »Heroes«. Aber wer kennt Tony Visconti? Dabei war er auch mal Musiker, und er hatte viele innovative Ideen.
Wabensandwich-Bauweise, elliptische Tragfläche, Einziehfahrwerk, Sicherheitsmonocoque für den Piloten, 240 km/h mit anfangs nur 55 PS – als die Silence 2001 rauskam, war der Paukenschlag weit über die UL-Szene hinaus zu hören. Ein kompromissloser Einsitzer mit vielen neuen Ideen, effizient, schnell und wunderschön. Es gibt ihn immer noch, als Bausatz, doch seine Macher treten nicht mehr als Flugzeugbauer auf. Sie helfen anderen Flugzeugbauern: Stemme, Pilatus, Aquila, Grob, Dornier Technologie, Game Composites, Flywhale Aircraft … Aber wer kennt Matthias und Thomas Strieker?
Die Leichtmacher
»Der Silence Twister ist unsere Visitenkarte«, sagt Matthias, »damit zeigen wir, was wir können.« Eine Eigenkonstruktion in modernster Composite-Bauweise, zugelassen und reif für die Serienfertigung, alles selbst durchgezogen ohne fremdes Geld – das ist eine Menge, wenn man’s in der Freizeit macht und dabei noch eine Ausbildung abschließen muss. »Rund 30 000 Stunden haben wir in die Entwicklung gesteckt«, erzählt der 52-Jährige, der als Tischler ein Holztechniker-Studium draufsetzte.
Als er es in der Tasche hatte und sein elf Jahre jüngerer Bruder Thomas, gelernter Werkzeugmacher und Elektrotechniker, mit dem Maschinenbaustudium fertig war, entscheiden sich die beiden aber gegen eine Zukunft als Flugzeughersteller. Trotz fertigem Produkt und Musterzulassung. »Wir wollten ja ursprünglich nur für uns selbst ein Flugzeug bauen«, sagt Matthias, »wir wussten von vornherein, dass man damit kein Geld verdienen kann.« Thomas wird deutlicher: »Auf der AERO haben wir jedes Jahr Firmen gesehen, die beim nächsten Mal wieder weg waren. Es gibt einfach zu viele Anbieter in einem zu kleinen Markt.«
Das Know-how, das die beiden gemeinsam mit ihrem Freund und anfänglichen Geschäftspartner Herbert Funke angehäuft hatten, erkannten sie dennoch als wertvolle Investition – wenn sie das ganze Paket anbieten würden: Entwicklung, Konstruktion und Werkzeugbau, bei Bedarf bis zum fertigen Teil. Matthias: »Wenn wir Erfolg haben wollten, das war uns klar, würden wir die Industrie beliefern müssen.« Und so gab der Twister dem Unternehmen einen Dreh, mit dem niemand gerechnet hatte, als er am Himmel aufgetaucht war.
Silence Aircraft baut Teile für andere Hersteller
Schloss Holte Stukenbrock bei Bielefeld, eine moderne 1600-Quadratmeter-Halle im Industriegebiet. Lange Negativformen, viele davon grün lackiert – das ist das Erste, was im Firmengebäude von Silence Aircraft auffällt. »Die sind für Philipp«, erklärt Matthias, »da drüben steht die neue Einsitzerhaube«. Der Kunde, um den es geht, heißt Game Composites, Hersteller des Kunstflugzeugs GB1 GameBird (siehe fliegermagazin #9.2016).
Konstrukteur Philipp Steinbach wollte anfangs eigene Leute aufbauen, um die Formen selbst herstellen zu können. Doch das dauerte zu lang. »Dann rief er mich an und fragte, ob wir ihm helfen können«, erinnert sich Matthias. »Ich hab ihm gesagt: Schick mir die Daten, und ich mach Dir ’n Preis. Am Ende kamen die Daten langsamer, als wir hätten fertigen können. Mittlerweile machen wir alle Formen für ihn.« Demnächst werden sie in Container gepackt und an den neuen Firmensitz von Game Composites in den USA verschifft.
Silence Aircraft setzt hochmoderne Software ein
Manche Kunden, für die Silence Aircraft eine Form bauen soll, liefern nur die Daten, die den später zu fertigenden Gegenstand dreidimensional definieren, andere schicken gleich ein 3D-Modell. Die Formenbauer können es anhand der Daten auch selbst erstellen.
Eine CAM-Software (CAM – computer-aided manufacturing) berechnet daraus die Bahnen, die von der Fräse abgearbeitet werden. Formen für die GB1 GameBird mit ihren 7,70 Metern Spannweite sind dabei keineswegs der Maximalfall. Vorbei an einem Büro, in dem Angestellte Vorbereitungen fürs Fräsen treffen, geht’s in den Raum, der das Allerheiligste des Unternehmens umgibt: die fünfachsige CNC-Portalfräse.
Sie kann auf 12 Meter Länge, 2,4 Meter Breite und 1,3 Meter Höhe jeden Punkt auf ein Zehntel Millimeter genau anfahren. Unabhängig von den drei aktiven Achsen gibt es zwei weitere, um die sich der Fräskopf schwenken lässt – passive Achsen, die vor dem Fräsvorgang eingestellt werden. »Wenn man so etwas kauft«, sagt Matthias, »kostet es etwa 1,5 Millionen Euro, ist aber viel größer und schwerer. Wir haben für rund 50 000 Euro Maschinen und Material gekauft und die Fräse selbst gebaut.«
Silence Aircraft bietet preisoptimierte Lösungen an
Neben dem Monster liegt das Futter, das ihm serviert wird: PU-Schäume unterschiedlicher Dichte. Je nachdem, was ein Kunde vorhat, schwankt das Gewicht des verwendeten Schaums pro Kubikdezimeter zwischen 30 und 1600 Gramm. Je dichter ein Schaum, desto härter, aber auch teurer. Ein Kubikmeter Material kann von 2000 bis 16 000 Euro kosten. »Wir bieten preisoptimierte Lösungen an«, sagt Matthias, »es hat keinen Sinn, für ein Einzelstück eine teure Serienform zu bauen, in der man 1000 Stück herstellen kann.« Eventuell genügt sogar Styropor, das billiger ist als der billigste PU-Schaum, allerdings nicht so stabil, es schrumpft mit der Zeit und verändert somit seine Kontur. Aber das spielt keine Rolle, wenn die Form nur ein einziges Mal benutzt werden soll.
Kleine Formen, bei denen der Materialpreis nicht so sehr ins Gewicht fällt, werden direkt aus schwerem PU-Schaum gefräst. Für große Formen entsteht unter der Fräse hingegen ein Positivkörper (Urmodell) aus günstigem, leichtem Schaum, von dem man dann die Form aus GfK abnimmt. Damit die Formen stabil sind und Arbeitshöhe bieten, erhalten sie einen Unterbau aus Stahlträgern; Rollen machen sie beweglich. Zurzeit entwickelt Silence Aircraft beheizbare Formen, die bis 120 Grad temperaturbeständig sind. Dann kann man mit Prepregs arbeiten, »vorimprägnierten« Kohlefasergeweben, die Gewicht einsparen, weil sie nicht erst in der Negativform mit (unnötig viel) Harz getränkt werden. Bei Temperaturzufuhr härtet das Harz bereits in der Form aus, sodass die laminierten, bisweilen sehr großen Teile später nicht mehr in einer Temperkammer »gebacken« werden müssen.
Silence Aircraft fertigt Formen nicht nur für Flugzeuge
Die GameBird-Formen in der Produktionshalle sind ein Beispiel für hochwertige Werkzeuge, die der Serienfertigung dienen. Daneben stehen Formen, die lediglich mit Kanthölzern zusammengehalten werden und die Form eines Sportwagens erkennen lassen. »Ein Bizzarrini. Das wird ein Nachbau für den Motorsport mit klassischen Fahrzeugen. Das Original hatte schon in den sechziger Jahren eine Karosserie aus GfK, also ist das beim Nachbau erlaubt«, erklärt Matthias.
Auch Karosserien für den Ford GT 40, für Rennwagen der Formula Student, Sportprototypen des Projektteams Step 1 oder den Flugautobauer Carplane hat Silence Aircraft schon angefertigt, und wenn man weitere Beispiel hören will, wird deutlich, wie viele Branchen das Unternehmen bedient: Sportbootrümpfe, Gondeln für Windkraftanlagen, ein Schienenfahrzeug für das Paderborner RailCab-Projekt, sogar eine Plattform für ein 4D-Kino in China. 4D? »Da kommen noch Gerüche, Gischt und alles Mögliche hinzu«, schmunzelt Matthias, »auf die Plattform werden 80 Leute geschnallt und dann kippt sie passend zum Film um mehrere Achsen.«
Überall wo Dynamik im Spiel ist, wo abrupte Beschleunigungen auf Massen wirken, wo systembedingt ohnehin schon große Massen verkraftet werden müssen, da will man beim Rest so wenig Gewicht wie möglich. Hier kann der nordrhein-westfälische Flugzeughersteller mit seiner Spezialisierung auf Leichtbau helfen.
Man wundert sich nicht, dass sein Silence Twister eine der am weitesten entwickelten Anwendungen im Elektroflug ist. Als Hamilton aEro, benannt nach dem Sponsor des Projekts, kann der Composite-Einsitzer 160 Kilometer weit fliegen oder 15 Minuten lang im Kunstflug betrieben werden, jeweils mit 15 Minuten Reserve (siehe fliegermagazin #1.2017). Weil die Maschine leicht und stabil ist (310 Kilo Leermasse inklusive Batterien, 420 Kilo MTOM), verträgt sie trotz Elektroballast +6/–4 g – womit tatsächlich Kunstflug möglich ist. Zum Vergleich: Eine Extra 330LE, wesentlich schwerer und aerodynamisch weniger ausgefeilt, muss so viel Batteriegewicht mitschleppen, dass ihre Lastgrenze nur noch irgendetwas um +/–4 g erlaubt. Ein richtiges Kunstflugzeug ist sie damit nicht mehr.
Den Elektromotor erhält Silence Aircraft von Siemens
Die aEro zeigt exemplarisch, wie das Geschäftsmodell von Silence Aircraft funktioniert: Als die Schweizer Thomas Pfammatter und Dominique Steffen mit der Idee der Twister-Elektrifizierung auf Matthias Strieker zukamen, konnte der auf einen Twister verweisen, den es bereits mit E-Antrieb gab. Er stand in Freiburg, Probleme mit der Steuerungssoftware hatten das Projekt aufgehalten. Die Lösung kam von Siemens – die Strieker-Brüder hatten 2015 auf der AERO mit Frank Anton diskutiert, der im Konzern die Forschungsabteilung für Luftfahrt-Elektroantriebe leitet. Man sprach die gleiche Sprache, und Siemens stellte einen 80-kW-Motor zur Verfügung. Die Integration des Antriebs fand bei Silence Aircraft statt, die Endmontage und Zulassung des Flugzeugs bei Termikas in Litauen, wo schon mehrere Twister als Experimental zugelassen worden waren.
Ohne das Netzwerk aus Fachleuten, das Matthias und Thomas Strieker mittlerweile aufgebaut haben, wäre es kaum zur Hamilton aEro gekommen. Und womöglich gibt es bald einen noch größeren Knaller: Im Red Bull Air Race ist eine E-Klasse angedacht, für die der Twister umkonstruiert wird – mit kürzerer Fläche und größeren Querrudern für eine Rollrate von 400 Grad pro Sekunde.
Die Strieker Brüder unterstützen auch andere Projekte
Bei anderen Projekten leisten die Brüder Konstruktionshilfe, wenn sich die Industrie mit Leichtbau-Lösungen schwertut. So rief eines Tages Kevin Danke an, der auf den Philippinen die Serienproduktion der Dornier S-Ray 007 in Gang bringen sollte: das Flugboot sei viel zu schwer. Thomas Strieker durchleuchtete die Konstruktion samt Laminierplänen und ersetzte sie durch eine neue, ohne die Außenkonturen zu verändern. Die Zahl der Teile sank dadurch um zwei Drittel, das Gewicht um die Hälfte.
Auch beim Flywhale ließen die Striekers ihr Know-how einfließen, als der Prototyp durch das Nickmoment des hoch angeordneten Antriebs mit dem Bug zu tief ins Wasser tauchte. Daraufhin wurden die vorderen Auftriebsbereiche des Flugbootrumpfs vergrößert und weitere Modifikationen vorgenommen.
Die Ausgangslage für seine Arbeit, sagt Thomas, sei oft die gleiche: »Viele gute Konstrukteure denken noch in den alten Bauweisen, mit Rippen und Gurten, wie das bei Holz und Metall halt so war. Faserverbund-Werkstoffe erfordern eine ganz andere Konstruktion, wenn man die Vorteile des Materials ausschöpfen will. Mit einer werkstoffgerechten Konstruktion helfen wir unseren Kunden, ihre Ideen zu realisieren.«
Hobby und Beruf vereint
Solche Arbeiten erledigt Thomas heute zu Hause im eigenen Büro. Aus seiner Leidenschaft für den Leichtbau und die Musik ist inzwischen eine eigene Firma entstanden, die Leviora Leichtbau Manufaktur. Ihr Produkt: edle akustische Gitarren aus CfK.
Gewichtsoptimierte Lösungen und Formenbau für Flugzeughersteller – ist das ein zynischer Ansatz? Immerhin: Mit Flugzeugen könne man kein Geld verdienen, hieß es, also müsse man der Industrie etwas verkaufen. Geld verdienen mit jemand, der kein Geld verdient – geht das?
Silence Aircraft – Eine zukunftsweisende Firma
Auf Dauer ordert kein Kunde Leichtbau-Konstruktionen und Formen, wenn er Verlust macht. Vielleicht ist die These zu retten, wenn man sie relativiert: Nicht jeder Flugzeughersteller macht Verlust, und Silence Aircraft hat ja auch Auftraggeber außerhalb der Luftfahrtbranche. Selbst wenn im hart umkämpften UL-Markt keine ordentlichen Gewinne gemacht werden sollten, so sind durch die Arbeit der Striekers hoch-effiziente und bisweilen zukunftsweisende Composite-Konstruktionen entstanden. Da stört das eine oder andere unvermarktbare Ergebnis nicht, etwa ein fliegendes Auto, bei dem es vor allem um einen heldenhaften Messeauftritt ging, »just for one day«.
Tony Visconti hat auch nicht nur Hits produziert.
Text: Peter Wolter, Fotos: Silence Aircraft, Jean-Marie Urlacher, Peter Wolter fliegermagazin 03/2017
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