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Touch & Go Stölln-Rhinow: Der älteste Flugplatz

Geballte Luftfahrtgeschichte erwartet Interessierte im Otto-Lilienthal-Centrum und auf dem „Pfad der Fluggeschichte“. Das Interflug-Museum beherbergt gar ein Standesamt, Hochzeits-Fotos auf der Tragfläche inklusive.

Von Gernot Krämer
Gollenberg
Graspiste neben dem Gollenberg: An dem Hügel endete 1896 Otto Lilienthals letzter Flug. Direkt nach dem Start erfasste ihn ein thermischer Aufwind. Foto: Gernot Krämer

Es war das erste tödliche Unglück am Flugplatz Stölln-Rhinow und ist bis heute auch das einzige geblieben: Am 9. August 1896 erfaßte eine Sonnenböe, wie man thermischen Aufwind damals nannte, Otto Lilienthal nach dem Start vom Gollenberg. Durch Strömungsabriss geriet sein Eindecker außer Kontrolle und stürzte aus etwa 15 Metern Höhe ab. Am nächsten Tag erlag der Flugpionier seinen Verletzungen.

In den vorangegangenen zweieinhalb Jahren hatte er am Ort etliche hundert Flüge unternommen und dabei erstmals auch Kehren und Schleifen gemeistert. Der Beweis für die Steuerbarkeit seiner Apparate durch Gewichtsverlagerung war erbracht. Auf alten Fotos sieht man den 109 Meter hohen und für brandenburgische Verhältnisse überraschend steilen Gollenberg noch so, wie er damals war: unbewaldet. Wir machen mit der Cessna einen Familienausflug nach Stölln-Rhinow, um zu sehen, wie es dort heute aussieht.

Überschaubarer Verkehr in Stölln-Rhinow

Der Sonderlandeplatz ist PPR, regulärer Flugbetrieb findet von Ende März bis Ende Oktober an den Wochenenden statt. Als wir landen, sind die Segelflieger vom FSV Otto Lilienthal aktiv, ansonsten ist der Verkehr recht überschaubar. Nur zwei, drei andere Flugzeuge haben unterm Hang des Gollenbergs geparkt. Rollwege und Abstellflächen sind nicht markiert, einen Turm gibt es nicht und Hangars scheinbar auch nicht.

Iljuschin Il-62Iljuschin Il-62
Man sieht es schon von weitem: Das imposante Leitwerk einer Iljuschin Il-62, die zwei Wochen vor dem Mauerfall hier landete.

Das einzige, was hier außerhalb der Betriebszeiten an einen Flugplatz erinnert, sind die Bahnreiter und ein Windsack. Und ein einsam in der Landschaft stehendes Schild „Flugplatz – Betreten durch Unbefugte verboten“. Beim Bezahlen der Landegebühr am rot-weißen Startwagen des Vereins nutzen wir die Gelegenheit zu einem kleinen Plausch, dann marschieren wir an der Waldkante entlang, bis überm Hügelrücken wie ein Ufo zuerst ein riesiges T-Leitwerk auftaucht und dann mit jedem Schritt mehr von dem Airliner erscheint, zu dem es gehört. Es ist eine Iljuschin Il-62 der Interflug, die am 23. Oktober 1989, zwei Wochen vor dem Mauerfall, hier landete.

Ein Film erzählt die Geschichte von Lady Agnes

Wie das kam, sieht man sich am besten in dem Film an, der an Bord gezeigt wird. Natürlich hat es, wie alles hier, mit Otto Lilienthal zu tun. Nicht umsonst wurde die Maschine auf den Namen seiner Frau Agnes getauft. Die Landung des vierstrahligen Langstreckenjets auf der Graspiste war ein Meisterstück von Interflugkapitän Heinz-Dieter Kallbach und seiner Crew. Um mit der Bahnlänge hinzukommen, war das Fluggewicht durch Ausbauten um acht Tonnen verringert worden, außerdem aktivierte Kallbach schon vor dem Aufsetzen in etwa 50 Metern Höhe den Umkehrschub.

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In einer Iljuschin der Interflug: Heute erklärt ein Film, wie es zu der spektakulären Landung eines Airliners auf 840 Metern Gras kam.

Alles war penibel durchgeplant, alles hatte man vorhergesehen, nur nicht die gigantische Staubwolke, in der das Flugzeug nach der Vollbremsung verschwand. Erst als sie sich legte, sah man, dass tatsächlich alles gutgegangen war. Die Ausstellungsstücke im Rumpf und der besagte Film lassen einen all das nacherleben. Vor wenigen Jahren wurde die „Lady Agnes“ aufgefrischt, in den neuerrichteten Glaspavillon daneben zogen ein kleines Interflug-Museum und das „Café Airport“. Beliebt ist das Standesamt im Jet, schon weil die Hochzeitsfotos auf der Tragfläche immer ein Hingucker bleiben werden. Während der Pandemie wurde zudem mit „Tragflügelkonzerten“ begonnen, ganz pragmatisch erst einmal aus Abstandsgründen. Inzwischen hat sich das Format etabliert.

Wandern auf dem Otto-Lilienthal-Rundweg

Doch wir sind auch zum Wandern gekommen. Ein Otto-Lilienthal-Rundweg führt auf etwa 1,5 Kilometern um den Gollenberg, wo sich gleich drei Denkmale befinden: die „Windharfe“ genannte Skulptur auf dem Gipfel, ein Monument mit kyrillischer Inschrift, das von der Lilienthal-Verehrung sowjetischer Piloten zeugt, sowie ein Gedenkstein an der Absturzstelle. Trotz des heute vorherrschenden Eichenmischwalds bieten sich immer wieder Panoramablicke ins herrliche Havelland.

WindharfeWindharfe
Die Windharfe: Über dem sanften Havelland in Brandenburg wurde Otto Lilienthal ein fliegerisches Denkmal gesetzt.

Danach folgen wir dem ebenfalls gut beschilderten „Pfad der Fluggeschichte“ ins nahegelegene Örtchen Gollenberg, wofür wir etwa eine Viertelstunde brauchen. In regelmäßigen Abständen informieren blaue Tafeln nicht nur über Otto Lilienthal, sondern auch andere Beiträge zur Luftfahrt aus der Region, etwa den Flugzeugbau in Rathenow oder die Arado-Werke. Übrigens wurde 1980 nach einer Reihe von „Republikfluchten“ auf dem Luftweg etwa jeder zweite DDR-Flugplatz geschlossen, darunter die benachbarten in Kyritz und Wittstock. Was StöllnRhinow damals rettete, war wohl nur sein Ruhm als ältester Flugplatz der Welt.

Am Ende des Pfades steht das Lilienthal-Centrum

Endpunkt des Pfads ist – an einem gelben Agrarflugzeug leicht zu erkennen – das in einer ehemaligen Brennerei untergebrachte Lilienthal-Centrum. Dessen wohl wichtigste Museumsstücke sind Nachbauten von Gleitern des Flugpioniers, darunter desjenigen, mit dem er am Gollenberg verunglückte. Am Flugplatz gibt es das Restaurant Adrijano mit seinem großen Biergarten und Blick auf die „Lady Agnes“.

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Am 5. August ist wieder Otto-Lilienthal-Fest: Am Gollenberg wurden die ersten Flugversuche der Welt unternommen. Heute erinnert ein Museum daran.

Während wir dort sitzen, beobachten wir, wie die Segelflieger Feierabend machen. Wer länger in Stölln-Rhinow bleiben möchte, kann auf dem Campingplatz oder im FSV-Vereinsheim unterkommen. Es dürfte schwer sein, einen zweiten Ort zu finden, der bei so bescheidener Größe in fußläufiger Entfernung vom Flugplatz so viel zu bieten hat.