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Flugplatz Wasserkuppe – EDER

Landen auf 3000 Fuß, übers Gelände schlendern, traumhafte Panoramen genießen, Eintauchen in die Geschichte der motorlosen Fliegerei – von diesem Platz muss man sich nicht erst irgendwo hinbegeben, um etwas zu erleben. Die Geburtsstätte des Segelflugs ist auch für Motorpiloten ein einzigartiges Ausflugsziel

Von Peter Wolter

Wenn sie jetzt die Regeln anwenden, müssen wir erst woanders landen, anrufen, und dann lassen sie uns rein – falls alles passt.“ Meine Kollegin und Fotografin Christina Scheunemann schaut mich verständnislos an: „Wieso, du hast doch …“ „Ja klar, ich hab mit Harald Jörges telefoniert, er weiß, dass wir kommen. Aber das war gestern, und heute morgen … hab ich den PPR-Anruf vergessen, das war im Kopf einfach schon abgehakt.“ Wir sind nördlich der Wasserkuppe. Beim Kontakt mit dem Flugleiter entschuldigte ich mich für das Versäumnis und ergänze kleinlaut, wir seien mit Herrn Jörges verabredet. Der warte schon, kommt als Antwort, und wir seien willkommen – „… Wind 80, 13 Knoten“. Was normalerweise zu der Rückfrage geführt hätte, ob tatsächlich die „24“ in Betrieb sei, löst jetzt den Gedanken aus: Setz sie auf die Schwelle!

Zugegeben, kein Indiz maximaler Coolness, wenn man über die Cowling einer Cessna 152 blickt und eine Piste vor sich hat, die 670 Meter lang ist und ansteigt. Aber ich will bei diesem Rückenwind auf keinen Fall übers Bahnende hinaus bis ins Segelflugmuseum geschoben werden und dort die Sonderausstellung „Motorflug“ eröffnen. Und eine Alternative zur Landerichtung 24 gibt’s auf der Wasserkuppe für Ortsfremde nicht. Also im Endanflug tief runter zwischen die Bäume, die den 150 Meter langen Grasstreifen vor der Schwelle säumen. Rein ins Lee, das bei dieser Windrichtung entsteht und die Cessna wie beim Surfen auf einer sich brechenden Welle torkelnd an den Boden drücken würde, hätten wir nicht ein paar Knoten Reserve, um die Nase schnell zu heben, bevor die Haupträder den Asphalt berühren. Ausrollen und oben an der Hütte abstellen, wo der Flugleiter sitzt. Hier empfängt uns Harald Jörges, Chef der Flugschule Wasserkuppe. Einen besseren Guide könnten wir nicht haben: Schon 1977 hat Jörges hier mit Drachenfliegen begonnen, mittlerweile arbeitet er seit zehn Jahren hauptberuflich als Segel- und Motorfluglehrer.

Wasserkuppe: eine Alternative zur Landerichtung 24 gibt’s für Ortsfremde nicht

Er ist ein echter Rhönianer, wohnt nur drei Kilometer von der Wasserkuppe entfernt in Obernhausen und kennt den Berg wie kaum ein Zweiter. Auch dessen Geschichte, in die wir sofort eintauchen auf unserer gemeinsamen Tour übers Gelände. Sie führt hinauf zum höchsten Punkt – fast: Ein Zaun umgibt den Gipfel. Dahinter sitzt auf einem Sockelgebäude wie ein Golfball auf dem „Tee“ die schon im Anflug von weitem sichtbare riesige Kugel – ein Relikt aus der Zeit des Kalten Kriegs, als der Berg ein militärischer Spähposten war. Zeitweise thronten hier vier solcher Observationskuppeln.

Gleich nach dem Zweiten Weltkrieg hatten die Engländer hier eine Relais-Station errichtet, später gehörte der Gipfel den Amerikanern, 1972 kam die Bundeswehr. Die ist 1998 zwar abgezogen, aber was mit der Kugel werden soll, ist noch unklar. Nicht alle wollen sie loswerden. Die Drachen- und Gleitschirmflieger denken an ein Clubheim, manche Piloten schätzen sie als Erkennungsmerkmal beim Anflug. Ich nicht. Wann holt endlich jemand den großen Golfschläger raus und fegt die Verunstaltung weg?

Unterhalb des Gipfels erreichen wir am Westhang das berühmte Fliegerdenkmal. Viele glauben, es sei allen verstorbenen Fliegern gewidmet. Tatsächlich wurde es 1923 errichtet, um der im Ersten Weltkrieg gefallenen Piloten zu gedenken. Seine landläufige Bedeutung mag daher kommen, dass an diesem Ort jährlich eine Gedenkfeier für alle verstorbenen Piloten stattfindet. „Rhönvater“ Oskar Ursinus hatte die Stelle ausgewählt, da hier am Westhang Eugen von Loessl zu seinem letzten Flug abgehoben hatte; der Darmstädter war das erste Opfer der jungen Segelflugbewegung nach dem Ersten Weltkrieg. Der Unfall passierte am 9. August 1920 während des von Ursinus organisierten ersten Rhönwettbewerbs, genau 24 Jahre nach Otto Lilienthals tödlichem Absturz. So lag es nahe, die Gedenkfeier auf diesen Tag zu legen; mittlerweile findet sie jeden zweiten Sonntag im August statt.

Unterhalb des Gipfels erreichen wir am Westhang das berühmte Fliegerdenkmal

Mit dem „1. Gleit- und Segelflugwettbewerb“ in der Rhön begann eine Entwicklung, auf die man bis heute die weltweite Dominanz der deutschen Segelflugzeug-Industrie zurückführt: Durch den Versailler Vertrag war Motorflug in Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg verboten – da blieb nur Segelflug. Und dessen Geschichte ist untrennbar mit den Rhön-Wettbewerben von 1920 bis ’39 verbunden; kein anderer Ort steht so sehr für Pionierleistungen und Bestmarken. Oben bleiben im Hangaufwind, dynamische Startüberhöhung, Höhengewinn in der Thermik, Gewitter- und Streckenflüge – die Chronik der Rhön-Wettbewerbe enthält fast alle Meilensteine des Segelflugs jener Zeit. Max Kegel, Peter Riedel, Johannes Nehring, Robert Kronfeld, Günther Groenhoff, Wolf Hirth … all die großen Namen sind gegenwärtig, wenn man am Westhang steht und den Blick über die Hügellandschaft schweifen lässt, die im Gegenlicht sehnsüchtiges Fernweh weckt.

„Über sonnige Weiten“ hat Riedel eines seiner Segelflugbücher genannt. Keine Frage, welches Bild er dabei im Kopf hatte. Viele Flugzeuge, die damals eine Rolle spielten, sind im Segelflugmuseum auf der Wasserkuppe ausgestellt. Nichts wie hin! Der Rundbau ist brechend voll: ineinander verschachtelte Flugzeuge, am Boden und unter der Decke. Höchste Zeit, dass am 1. April die 4000 Quadratmeter große Erweiterungshalle ihre Tore öffnet. Dann kann die Museumsstiftung die meisten ihrer 47 Flugzeuge sowie interessante Exponate aus dem Modellflug zeigen; die alte, 1987 eröffnete Halle fasst trotz maximaler Auslastung nur 28 Fluggeräte. Nur? Alle diese Apparate haben Geschichte geschrieben, vom Lilienthal-Derwitzer-Gleiter (1891) bis zum Phönix TO, dem ersten GFK-Segelflugzeug (1957). Manche sind Originale, andere nachgebaut. Ältestes Original ist der RRG Falke von 1931, den der spätere Nurflügel-Papst Alexander Lippisch konstruiert hat. Auch das legendäre Grunau Baby (1933) oder die überirdisch grazile Minimoa (1936) hängen hier als Originale unter der Decke.

Die Museumsstiftung kann die meisten ihrer 47 Flugzeuge sowie interessante Exponate aus dem Modellflug zeigen

Zu den schönsten Nachbauten zählt der Habicht, der erste speziell für den Kunstflug entwickelte Segler, der 1936 für Geschwindigkeiten bis 450 km/h erprobt wurde. Was immer nur auf alten Fotos zu sehen war – hier hat man die Kisten vor sich! Rhönadler, Rhönbussard, Rhönsperber – manche bestätigen schon mit ihrem Namen, dass dieses Museum an keinem besseren Platz stehen könnte. Oder die hyper-filigranen Knickflügler der dreißiger Jahre: In meisterlicher Vollendung verkörpern diese Segler die Lilienthalsche Orientierung am Vogelflug, gleichzeitig weisen sie über die technische Verwirklichung des Traums vom Fliegen hinaus auf den Traum vom Fliegen wie ein Vogel – als ob ihre abgewinkelten Schwingen eigentlich leben und sich jederzeit bewegen könnten. Harald Jörges hat von einer Überraschung gesprochen, die er uns noch zeigen will. Sie muss irgendwo im bebauten Areal verborgen sein, denn dort führt uns der 49-Jährige hin.

Wir kommen am 1925 errichteten Ursinus-Haus vorbei, in dem der Deutsche Wetterdienst eine Station hat, dann am Groenhoff-Haus, das ab 1936 zur „Reichssegelflugschule“ gehörte; heute teilen sich die Biosphärenreservats-Verwaltung Rhön und die Jugendbildungsstätte das Gebäude. Schließlich stehen wir vor dem Lilienthal-Haus, früher ebenfalls Teil der Reichssegelflugschule. Die grünen Stahltüren mit ihren schweren Ringen könnten in ein Schloss führen, aber auch in einen Bunker. Auf zwei der drei Türen fallen sechs Pour le Mérites auf, Symbole für die höchste fliegerische Auszeichnung im Ersten Weltkrieg. Jörges greift das Vorhängeschloss. „Es gibt nur zwei Schlüssel, einen habe ich“. Über 50 Jahre sei der Raum, den wir gleich betreten werden, für die Öffentlichkeit verschlossen gewesen, erfahren wir, erst 1996, als die Bundeswehr das Gebäude aufgegeben habe, sei er zugänglich geworden. Jörges öffnet die schwergängige Tür. Halbdunkel. Und Sprachlosigkeit.

Glanz und Düsternis, Geschichte und Gegenwart nebeneinander – gibt es in Deutschland einen bewegenderen Flugplatz als die Wasserkuppe?

Wir stehen in einer Halle ohne künstliche Beleuchtung. Nur durch das Mosaikfenster an der Stirnseite dringt Sonnenlicht. Es lässt eine Ikarus-Figur erstrahlen. Boden aus Marmor, Wände aus rauem Stein, daran aufgereiht Kränze, auch von Luftsportclubs anderer Länder – und in der Mitte eine überlebensgroße Steinfigur in Fliegermontur, auf einem Sockel, wie aufgebahrt. Schaudern überkommt mich, und gleichzeitig realisiere ich, dass ich einer Inszenierung auf den Leim gegangen bin. Es ist die Ästhetik der Nazis, die hier konserviert ist, um toter Segelflieger zu gedenken. Als ob sie in Erfüllung einer höheren Pflicht gestorben wären. Raus an die Sonne. Was für ein Ort! Glanz und Düsternis, Geschichte und Gegenwart nebeneinander – gibt es in Deutschland einen bewegenderen Flugplatz als die Wasserkuppe? Schwer beladen mit kaum verarbeiteten Eindrücken stellen wir unsere Cessna auf die „06“. Bisher war Weight and Balance immer eine Sache von Zahlen …

Wasserkuppe – Tipps und Infos

So kommt man hin: Die Wasserkuppe liegt zehn Nautische Meilen südöstlich von Fulda. Als höchste Erhebung der Rhön und Hessens überragt der Gipfel mit seiner weithin erkennbaren „weißen Kugel“ (ehemalige Radarstation) das Mittelgebirge. Die Motorflug-Platzrunde liegt auf 4000 Fuß, Überflüge des südöstlich gelegenen Naturschutzgebiets Rotes Moor sind im Gegenanflug und im rechten Gegenabflug zu vermeiden. Funknavigatorische Hilfe: Der Platz liegt auf Radial 112 des Fulda VOR, 15 Meilen davon entfernt.
Unterkünfte: Hotel Peterchens Mondfahrt, DZ 70 Euro, ab drei Nächte 56 Euro, EZ 20 Euro, Telefon 06654/381, www.peterchens-mondfahrt.com
Berghotel Flieger, DZ ab 44 Euro, EZ ab 25 Euro, Telefon 06654/70 07, www.berghotel-flieger.de

Aktivitäten: Wandern, Radwandern, Mountainbiking, Rennrad fahren, Ski-Langlauf, Inlineskating, Walking. Infos zu den einzelnen Aktivitäten: Rhön-active, www. rhoenactive.de
Deutsches Segelflugmuseum Wasserkuppe: Weltweit einzigartige Dokumentation der Segelflugentwicklung. Die Museums-Website enthält u. a. Infos zu allen ausgestellten Flugzeugen. Öffnungszeiten 1. 4. bis 31. 10.: 9.00 bis 17.00 Uhr, 1. 11. bis 31. 3.: 10.00 bis 16.30 Uhr, 24. und 25. Dezember geschlossen. Telefon 06654/77 37, www.segelflugmuseum.de
Fliegerschule Wasserkuppe: Nachfolge-Unternehmen der 1924 gegründeten Martens Flieger-Schule, der ältesten Segelflugschule der Welt. Telefon 06654/364, mobil 0171/7 20 72 80, www.fliegerschule-wasserkuppe.de

fliegermagazin 4/2006