Flugplatz Wangerooge – EDWG
Keine Autos, kein Straßenverkehr, nur ab und zu ist ein Flugzeugtriebwerk zu hören: Wangerooge ist die östlichste der ostfriesischen Inseln – und im Herbst besonders attraktiv
Peter Barthold Schnibbe hebt seine Kamera. „Ein schönes Motiv“, murmelt der 55-Jährige und schiebt sein Headset zurecht; tief unter uns liegt das Wattenmeer. Der bekannte Maler aus Bremerhaven ist Sohn eines waschechten Großseglerkapitäns und hat die Liebe zur Küste quasi schon in die Wiege gelegt bekommen. Er nutzt schon mal das Flugzeug zur Motivsuche von oben. Heute ist Herbstwetter, günstig für Schnibbes Zwecke. Unsere Fuji FA-200 brummelt auf Kurs Nord-Ost, voraus kommt allmählich Wangerooge in Sicht. „Im Herbst gibt’s besonders schönes Licht“, erklärt der Künstler. Wangerooge liegt zwar dicht am Festland, aber dafür gleich an der breiten Mündung zur Jade und Weser. Im Norden kann man bei klarem Wetter aus einiger Höhe Helgoland sehen. Wangerooge kommt von altgermanisch Wanga (Wiese) und friesisch Oog (Insel).
Die Wiesen liegen allerdings gar nicht auf der Insel, sondern gegenüber auf dem „Wangerland“ nördlich von Jever. Abgesehen von kurzen Zeiten unter oldenburgischer, französischer und russischer (!) Flagge war Wangerooge bei Friesland, heute gehört es zu einem niedersächsischen Landkreis. „Wangeroch“, als Eiland 1217 und namentlich 1327 erwähnt, tauchte nicht einfach so aus der Nordsee auf. Es entstand mit den Nachbarinseln nach der letzten Eiszeit vor 5000 Jahren, als sich das Nordseebecken durch Schneeschmelze wie eine Badewanne füllte. Riesenmengen Sand schwappten an die Küste, Strandhafer krallte sich in die Dünen – fertig war die Insel, es fehlten nur noch Bewohner. Chauken, Römer und Sachsen tauchten auf, dann Friesen aus dem heutigen deutsch-niederländischen Ems-Gebiet. Piraten und Seeräuber waren darunter, die reichlich Beute machten. So wäre es wohl noch lange weitergegangen, hätte nicht um 1400 der Hering überraschend von der Ost- in die Nordsee gewechselt.
Unsere Fuji FA-200 brummelt auf Kurs Nord-Ost, voraus kommt allmählich Wangerooge in Sicht
Ein Fischfang-Boom begann in der Nordseebucht, Handel und Seefahrt gediehen prächtig. Auch die Wangerooger machten Kasse, doch immer wieder verwüsteten Stürme und Fluten ihre Insel. 1775 lebten nur noch 150 Bewohner auf der Insel, meist im Dorf rings um den alten Turm, der schon als Seezeichen, Kapelle oder Gefängnis gedient hatte. Es stand nicht gut um Wangerooge, man dachte ans Aufgeben. Da begann Anfang des 19. Jahrhunderts gerade noch rechtzeitig der Badebetrieb. Eine Badekutsche, ein Zelt und ein paar Hauswirte, die Gäste beherbergen konnten – so bescheiden begann Wangerooges neues Leben als Kurort. 1856 enstand das heutige Alte Dorf, später Hotels, Kirchen und Strandpromenade. Manches ging durch die Bomben des Zweiten Weltkrieges verloren. Die Fuji dreht einige Runden über dem unbesiedelten Osten. Zum alten versandeten Schiffsanleger führte einst eine Bahnstrecke, heute ein verwunschener Wanderweg entlang der Dünen.
Hier und da ragen noch Planken und Bohlen aus dem Sand. Der Westanleger am anderen Inselende ist nach wie vor Einfalltor für die Badegäste. Sie kommen per Schiff und fahren mit der Schmalspurbahn zum Bahnhof aus der Kaiserzeit, einem echten Prunkstück mit Wartesaal und Lokschuppen. Wangerooge bietet aus der Luft einen interessanten Anblick, die Insel ist klar gegliedert und hat die Form eines Seepferdchens: links der Kopf, mit „Westturm“-Jugendherberge, Hafen und Bahnhaltestelle; am „Bauch“ die 1000-Seelen-Ortschaft und der Flugplatz, rechts am Ostende der ehemalige Anleger. Auf der Nordseite Sand, soweit das Auge reicht. Touristen sind natürlich auch in den Herbstmonaten bei Sonnenschein am liebsten am Wasser. Bei Schiet-Wetter schlüpft man eben in den Ostfriesen-Nerz und geht spazieren oder shoppen. Andenken, Juwelen oder Fahrrad-Zubehör, Teebeutel und Romane – es gibt fast alles. Ausruhen kann man in den zahlreichen Kneipen und Cafés.
Wangerooge war sogar offizieller Teil des weltweiten Lufthansa-Streckennetzes
Mittags Seezunge, nachmittags friesische Tea-Time mit Kluntjes – nichts geht über echte Insel-Kost für Landratten. Manche der älteren Hotels und Pensionen stammen noch aus der Kaiserzeit. Dort lässt sich in gemütlichen Zimmern von den Anfängen des Kurbetriebs träumen. Selbstverständlich hat auch Wangerooges Flugplatz eine lange Tradition. Schon 1920 bot die Lloyd Luftfahrtdienst GmbH Flüge nach Bremen, Berlin oder Dortmund an. Wangerooge war sogar offizieller Teil des weltweiten Lufthansa-Streckennetzes. Im Krieg flogen Me 109-Jäger und Ju-52-Minensuchflugzeuge von hier aus ihre Einsätze. Wangerooge war bis an die Zähne mit Flak-Geschützen bewaffnet. Noch heute entdeckt man alte Fundamente und verbogenen Stahl. Das alles ist Nostalgie; jetzt bringen Regional-Props und Privatflugzeuge Touristen oder Fracht nach Wangerooge.
Die Insel hat ein gutes Verkehrskonzept aus Bahn und Fliegerei – leise, umweltfreundlich, inklusive strenger Mittagsruhe am Flugplatz. Autos gibt’s nicht. Wenn zur Tischzeit der letzte Lycoming abgestellt ist, hört man nur noch Möwen. Von oben ist die Geschichte des Wangerooger Flugplatzes klar zu erkennen. Eine runde Wiese, darüber das bekannte Grasbahn-Dreieck (eine Piste ist noch in Betrieb), südlich die Asphaltbahn. Gegenüber Hallen, Tower, Hotel und Gastronomie – alles wie im Bilderbuch. Unsere Fuji schwebt Richtung „28“. Vor uns liegen wie mit dem Lineal gezogen Landebahn, Deich und Radweg. Nach der Landung Motor aus, das Kabinendach zurück: Stille umfängt uns. Wangerooge zur Mittagszeit – ein paar Touristen stehen am Flugplatzzaun, selbst die Möwen machen Siesta.
Flugleiter Bordasch übermittelt einem Inselflieger die Landerichtung – gleich beginnt auch seine Mittagspause
Im Terminal geben freundliche Damen Infos zur Insel. Flugleiter Bordasch übermittelt einem Inselflieger die Landerichtung; gleich beginnt auch seine Mittagspause. Wir schnappen unsere Kameras und gehen auf Entdeckungstour. Vom Flugplatzhotel weht ein angenehmer Duft von Bratkartoffeln herüber, doch wir laufen unbeirrt zwei Straßen weiter in den Ort. Wangerooge in der Nachsaison ist nicht mehr voll, die Zahl der Touristen, die entspannt durchs Dorfzentrum schlendern, bleibt überschaubar. Am Wasser stehen noch Strandkörbe. Auf dem Balkon des legendären Café Pudding nehmen wir einen Cappucino und bummeln die Hauptstraße runter. Läden, Restaurants, Cafés, am Leuchtturm knurren unsere Mägen, es geht zurück Richtung Strand. Nach einem deftigen Baguette mit dem schönen Namen „Düne 7″laufen wir über den feinen, weißen Sand.
Wen stört’s, dass das Wasser immer mal verschwindet und das Wattenmeer freigibt. Man kann – mit Führer – prima drin wandern und das Gefühl genießen, einen echten Nationalpark zu betreten. Kinder beim Minigolf, alte Pensionshäuser, eine Katze beim Mittagsschlaf: Maler Schnibbe findet reichlich Motive. Unser Flieger hebt wieder ab, mein Co-Pilot hält ein letztes Mal die Kamera ans Fenster, dann drehen wir Richtung Küste ab. Wangerooge ist ein Flugziel rund ums Jahr – ganz dicht am Festland und doch weit, weit weg. „Man sollte sich’s öfter gönnen“, murmelt Schnibbe und freut sich schon aufs nächste Mal.
Wangerooge – Tipps und Infos
- So kommt man hin: Der Flugplatz inmitten der Insel ist hindernisfrei und aus allen Richtungen gut zu erreichen. In einer 800-Fuß-Südplatzrunde geht’s zur Asphaltbahn; aus der Ostplatzrunde Richtung Graspiste. Vogelschutzgebiete und Wohnsiedlungen sind zu meiden, die Insel sollte nicht unter 2000 Fuß überflogen werden. Anflughilfe: VDF 122,40; 180°/24 NM from „DHE“ VORTAC 116,30.
- Aktivitäten: Feiner Sandstrand, tolle Dünenlandschaften und Wanderwege locken Spaziergänger, Jogger und Walker. Die Insel lässt sich auch per Fahrrad prima erkunden. Schwimmen: ganzjährig im Meerwasser-Freizeitbad Oase,Telefon 0 44 69/9 91 47; Tennis: zwei Innen-, drei Außenplätze, Telefon 0 44 69/ 94 68 46; Reiten im Reitstall Eden, Telefon 0 44 69/2 66 oder Inselhof Wangerooge, Telefon 0 44 69/17 74, www.inselhof-wangerooge.de
Wattwanderungen mit Führer, Auskunft bei der Kurverwaltung - Unterkunft: Zimmernachweis bei der Kurverwaltung Nordseeheilbad Wangerooge, Postfach 16 20, 26480 Wangerooge, E-Mail: kurverwaltung@wangerooge.de, Telefon 0 44 69/9 90, Fax 0 44 69/9 91 14
Text: Rolf Stünkel, fliegermagazin 12/2006