Flugplatz Verona-Boscomantico – LIPN
Kleiner als der internationale Flughafen Villafranca und stadtnah gelegen hat Verona-Boscomantico für Privatpiloten einen besonderen Reiz. Hier ist auch der traditionsreiche Aeroclub di Verona zu Hause
Wir sinken auf 2000 Fuß, hinunter zum reizvollen Westufer des Gardasees. Ab Riva schlängelt sich die Gardesana Occidentale entlang der steil in den See abfallenden Felsen. Die Anfang der dreißiger Jahre fertiggestellte Uferstraße führt über mehr als 50 Brücken und hat 74 Tunnels oder Steinschlagüberdachungen. Die längeren davon haben Piloten angeblich schon als Piste genutzt. Limone, Gardola, Gargnano – Namen, die Erinnerungen wecken an frühere Ferien mit dem Auto. Wie viel eleganter es ist, Desenzano am südwestlichen Ufer mit dem Flugzeug anzusteuern! Die größte Ortschaft am Gardasee grenzt im Osten an die Halbinsel Sirmione, die lang und spitz in den See ragt. Von hier aus liegt Boscomantico keine 15 Nautische Meilen querab.
Die Wetterprognose war verführerisch: ein stabiles Hoch über Osteuropa, das für weite Teile Deutschlands und den Alpenraum wetterbestimmend sein würde – einer Alpenüberquerung stand nichts im Weg. Da lag es nahe, in der Arena von Verona gleich noch zwei Karten für die Aufführung des „Barbiere de Sevilla“ zu reservieren. Eine konservative Entscheidung, wie sich zeigen sollte, denn mit seinen 13 000 Sitzplätzen ist das Amphitheater aus der Römerzeit allenfalls bei Premieren ausgebucht. In München-Oberschleißheim heben Joachim Weber und ich mit unserer Cessna 172 bei wolkenlosem Himmel ab. Als mein Fliegerkamerad sich bei München Information meldet, hat der Schleißheimer Flugleiter den von mir über SkyDemon aufgegebenen Flugplan bereits telefonisch aktiviert. Wir nehmen Kurs auf den Pflichtmeldepunkt November 1 der CTR Innsbruck.
In München-Oberschleißheim heben wir mit unserer Cessna 172 bei wolkenlosem Himmel ab
Erst kurz davor übergibt uns München Information an Innsbruck Radar, wohl wissend, dass der Empfang je nach Flughöhe wegen des Wettersteingebirges eingeschränkt sein kann. Doch wir bewegen uns schon auf 9500 Fuß – hoch genug, um anfliegenden Verkehr nicht zu beeinträchtigen, aber immer noch innerhalb der CTR, die bis 11 000 Fuß reicht. Querab von Schloss Elmau erhalten wir von Innsbruck Radar die Freigabe zum direkten Durchflug durch der Kontrollzone mit Kurs auf den Brenner. Ab hier ist Padua Information zuständig, theoretisch. Praktisch kann man auf dieser Frequenz selten zuverlässig Funkkontakt herstellen, so auch heute. Deshalb rufen wir Bolzano Aerodrome Info, was auf Anhieb klappt. Bozen empfiehlt Funkkontakt mit Trento. Auch dort melden wir uns auf der Platzfrequenz, obwohl wir Trento-Mattarello „Gianni Caproni“ in 9500 Fuß hoch überfliegen.
Hier lässt sich der Gardasee bereits erahnen. Nachdem wir die Halbinsel Sirmione hinter uns gelassen haben, melden wir uns auf Bosco Radio zur Landung an. Die Landeinformation kommt in einwandfreiem Englisch, die „26“ sei in Betrieb. Schon von weitem erkennen wir die Asphaltbahn in einer Biegung der Etsch. In 1300 Fuß reihen wir uns nördlich der Piste in den rechten Gegenanflug ein. Bei absoluter Windstille setzen wir nach einer Flugzeit von zwei Stunden auf. Den Flugplan schließt der Flugleiter. Mit 1014 mal 22 Metern hat LIPN eine für die VFR-Fliegerei recht komfortable Piste. Im Norden verläuft ein Rollweg, doch Bosco Radio dirigiert uns direkt zum Abstellplatz südlich der Runway. Von hier aus sind es nur wenige Meter bis „Charlie“, zum Gebäude des Aeroclubs und zum Flugplatzrestaurant; nördlich stehen weitere Hallen.
Bei absoluter Windstille setzen wir nach einer Flugzeit von zwei Stunden in Verona auf
Boscomantico, 1916 angelegt, zählt zu den ältesten Flugplätzen Italiens, bis in die neunziger Jahre wurde das Gelände ausschließlich militärisch genutzt. Avgas bekommt man beim Aeroclub, allerdings nicht in jeder gewünschten Menge und nur nach vorheriger Anfrage. Von der Terrasse des Restaurants beobachten wir, wie sich der Flugzeugwart um die Club-Maschinen kümmert. Abseits der Tankstelle wartet eine Pilatus auf ihre Paxe, eine Gruppe von Fallschirmspringern, die gerade ein Briefing bekommen. Hier auf der Terrasse herrscht jetzt zur Mittagszeit Hochbetrieb. „Spaghetti“ und „Fettuccine“, das verstehe ich auf der italienischen Speisekarte ja noch, aber was sind „Braciola di maiale?“ Schweinskotelett! Dank leo.org bleibt mir eine Fehlbestellung erspart. Da die Haltestelle des Busses nach Verona zwei Kilometer vom Flugplatz entfernt ist, in Chievo, nehmen wir lieber ein Taxi (Hinfahrt 22 Euro, Rückfahrt 17 Euro).
Über booking.com – auf der Restaurantterrasse kann man sich ins WLAN des Aeroclubs einloggen – habe ich nebenbei Bed & Breakfast reserviert, fußläufig zur Arena. Schnell hin und einchecken und dann gleich die Altstadt erkunden. Bereits im ersten Jahrhundert nach Christi war Verona, entlang einer der wichtigsten Routen über die Alpen gelegen, eine komplette römische Stadt mit Forum, Theater, Thermen und natürlich Mauern und Toren. Der schachbrettartige Grundriss der Altstadt ist bis heutige erhalten. Als Tourist landet man früher oder später auf der belebten Piazza delle Erbe, dem früheren Forum. Nach wie vor ist hier das Zentrum Veronas, mit dem Rathausturm Torre dei Lamberti und einigen Marktständen, die ihr Angebot auf Touristen abgestimmt haben: Souvenirs, Säfte, Obstsalate.
Boscomantico, 1916 angelegt, zählt zu den ältesten Flugplätzen Italiens
Von der Piazza delle Erbe zweigen die bekanntesten Straßen Veronas ab, die Via Cappello mit dem Haus der Julia, wo eine Inschrift an die berühmte Veroneserin und ihren Geliebten Romeo erinnert, die Flaniermeile Corso Porta Borsari und die Via Mazzini, die zur Arena di Verona führt, dem Ziel am heutigen Abend. Doch zunächst schlendern wir den Corso Porta Borsari entlang. Alle paar Meter eine Eisdiele, schicke Bekleidungs- und Schuhläden wechseln sich ab. Verona ist eine Stadt der Mode! Die Schaufenster locken mit „Sale“, die Versuchung ist groß, doch ich möchte lieber das Restaurant wiederfinden, das ich bei einem früheren Ausflug entdeckt hatte. Und tatsächlich finden wir es: die Trattoria Cuore Antico auf dem etwas versteckt liegenden Corte San Giovanni. Einem gepflegten Abendessen steht nichts mehr im Weg. Nach Verona kann man zu jeder Jahreszeit reisen.
Die Straßen sind immer belebt, die vielen Kirchen, Museen und sonstigen Sehenswürdigkeiten das ganze Jahr über zugänglich, und das Angebot an kulturellen Veranstaltungen ist vielfältig. Einzigartig ist jedoch ein Besuch in der Arena. Die weltberühmten Opernaufführungen im römischen Amphitheater finden im Juli und August statt. Zu einem Arbeitsgespäch bin ich mit dem Pyrotechniker, der die Spezialeffekte verantwortet, hinter den Kulissen verabredet. Auch wenn der „Barbiere“ pyrotechnisch dann nicht viel hergibt und die Rossini-Oper einem simplen Plot folgt – die Athmosphäre unter freiem Himmel muss man erlebt haben. Ende der Vorstellung, es ist kurz vor Mitternacht und immer noch 20 Grad warm. Toute Verona scheint auf den Beinen, niemand möchte die lauschige Sommernacht verschlafen – wir auch nicht.
Toute Verona scheint auf den Beinen, niemand möchte die lauschige Sommernacht verschlafen – wir auch nicht
Von einem Straßencafé aus beobachten wir das lebhafte Treiben, bis die Müdigkeit – oder ist es Vernunft? – zum Aufbruch mahnt.Mit dem Taxi geht es anderntags zurück nach Boscomantico. Ein letzter Cappuccino auf der Terrasse, Flugplan aufgeben, und kurz darauf starten wir in Richtung Heimat. Über dem Gardasee gewinnen wir Höhe, bereits bei Trento haben wir 8500 Fuß. Es ist diesig, aber Wolken sind nicht zu sehen, mit Ausnahme von ein paar Wattebäuschen, die über schroffen Felsen kondensieren. Auf der Brennerautobahn stauen sich die Fahrzeuge Richtung Süden.
Über Sterzing gibt uns Innsbruck Radar frei für den Durchflug nach Mittenwald, und eine gute Stunde nach dem Start sind wir überm bayerischen Voralpenland. Die Allianz-Arena … Da ist Oberschleißheim! 125 Liter Avgas haben wir insgesamt verbraucht, ohne in Verona an der Tankstelle gewesen zu sein. Das ist in etwa doppelt soviel Benzin wie bei einer Autofahrt. Dafür waren wir aber mindestens doppelt so schnell unterwegs – ganz abgesehen von dem immer wieder überwältigenden Eindruck, die Alpen aus der Vogelperspektive zu erleben. Und erst Verona!
Text & Fotos: Anne Marie Ring; fliegermagazin 7/2016