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Gefährliche Gebirgsfliegerei: Flugzeugabsturz bei Samedan
Tragischer könnte es nicht kommen: Auf einem Rundflug im Jahr 2017, der Jugendliche fürs Fliegen begeistern soll, missachtet ein Pilot elementare Grundlagen des Fliegens in den Bergen. Eine Unfallanalyse.
Eigentlich lässt so etwas Fliegerherzen höher schlagen: Seit Beginn der achtziger Jahre veranstaltet der Aero Club der Schweiz (AeCS) im Engadin ein Jugendlager (JULA). Es soll Jugendliche für die Fliegerei begeistern und ihnen Berufe in der Luftfahrt näherbringen. 200 Jugendliche im Alter zwischen 13 und 17 Jahren sind im Jahr 2017 dabei. Für alle ist vom Flugplatz Samedan (LSZS) aus eine »Lufttaufe« vorgesehen: ein kurzer Rundflug, der ihnen das Erlebnis des Fliegens vermitteln soll.
Je drei Teilnehmer, so die Planung der Veranstalter, sollen zu 25 Minuten langen Rundflügen mit einem von vier Flugzeugen starten. Mit dabei sind zwei Maschinen der Motorfluggruppe Engadin: eine Cirrus SR22 sowie die Piper PA-28 Archer mit der Kennung HB-PER. Sechs Piloten sind für die Lufttaufen vorgesehen, einer ist Fluglehrer.
Ein Steuern der Flugzeuge ist auf den Lufttaufen möglich
Am Morgen des 4. August 2017 startet die HB-PER bei ruhigem Sommerwetter um 8.42 Uhr Ortszeit mit dem späteren Unfallpiloten und drei Passagieren an Bord zu einem ersten Rundflug. Er fliegt unter anderem rechtwinklig mit einer Überhöhung von etwa 300 Fuß über den Pass Fuorcla Surlej.
Nach der Landung steigen für den folgenden Flug zwei Passagiere Jahrgang 2002 sowie eine Passagierin Jahrgang 2000 ein. Um 9.09 hebt die Piper erneut ab, zwei Minuten später folgt die viel stärker motorisierte Cirrus mit weiteren JULA-Teilnehmern.
Um 9.16 Uhr passiert die Piper den Meldepunkt Sierra in 7600 Fuß und nähert sich dem Berninapass. Die Cirrus überfliegt die Piper zu diesem Zeitpunkt in 8600 Fuß Höhe. Kurze Zeit später fragt der vorne rechts sitzende Piper-Passagier, ob er das Steuer übernehmen dürfe. Der Pilot bejaht dies. Es gab die Erwartung, so zeigt später die Befragung der Jugendlichen, dass ein Steuern der Flugzeuge auf den Lufttaufen möglich sei.
Die Piper steigt kaum noch
Die Datenaufzeichnung eines FLARM-Geräts an Bord der PA-28 zeigt, dass ab diesem Zeitpunkt die Variation der Steigrate größer wird als vor der Steuerübernahme. Die Piper steigt im Mittel nur noch mit 350 Fuß pro Minute. Die Luft ist ruhig, es gibt keine Turbulenzen. Auf Höhe der Talstation der Bernina-Diavolezza-Pendelbahn weist der Pilot den Passagier an, eine Linkskurve einzuleiten. In dem folgenden Dreiviertelkreis gewinnt die Piper 275 Fuß Höhe. In 9200 Fuß steuert die Maschine im Steigflug auf den Pass der Diavolezza zu, der eine Höhe von 9705 Fuß hat.
Mit nur 25 Meter Überhöhung quert das Flugzeug den Sattel östlich des Corn Diavolezza und leitet eine Rechtskurve hin zu tieferem Gelände ein – offenkundig weil das vor der Maschine liegende Gelände bei der aktuellen Höhe und Steigrate nicht überstiegen werden kann. Wie die Unfalluntersucher später errechnen, wäre an dieser Stelle mehr als das Vierfache der verfügbaren Steigrate erforderlich gewesen, um den Sattel zu queren.
Piper schlägt in 9400 Fuß Höhe auf und rutscht 80 Meter weiter
Die Passagierin beschreibt die Kurve später als steil, eng und schnell. Die Piper verliert an Höhe, unterfliegt die Seile der Pendelbahn sowie eine Stromleitung und schlägt in 9400 Fuß Höhe mit dem rechten Flügel auf. Die Maschine rutscht 80 Meter weiter. Ein Augenzeuge leistet Ersthilfe und alarmiert die Rettungsflugwacht. Der Pilot und die Passagiere vorne und hinten rechts werden schon beim Aufprall getötet; die Passagierin erleidet schwere Verletzungen und wird per Hubsschrauber ausgeflogen.
Die Schweizer Unfalluntersucher finden keinerlei technische Probleme am Flugzeug. Es hatte zum Unfallzeitpunkt eine Masse von 1057 Kilo – 82 Kilo unter der MTOM. Das Wetter war ruhig, die Dichtehöhe lag am Unfall-
ort bei 10 520 Fuß. Das Handbuch gibt bei diesem Wert für MTOM eine Steigrate von lediglich 210 Fuß pro Minute an, wenn das Gemisch optimal abgemagert und die Geschwindigkeit für bestes Steigen (Vy) konsequent eingehalten wird.
Pilot der Piper hatte fast 100 Flugstunden absolviert – mehrheitlich um Samedan
Der Pilot hatte auf dem Unfallmuster fast 100 Flugstunden absolviert, mehrheitlich in der Gebirgsregion um Samedan. Er war seit Jahren Organisator der Rundflüge im Rahmen des alljährlichen Jugendlagers. Umso mehr äußern die Unfalluntersucher Verwunderung über die Aufzeichnungen vorheriger Flüge: Am 31. Juli 2017 hatte der Pilot auf einer ähnlichen Route in nur etwa 13 Meter Höhe den Sattel der Diavolezza überquert – in rechtem Winkel, mit reduzierter Geschwindigkeit und in stark angestellter Fluglage (zur Gebirgsflugtaktik siehe auch Seite 60). Am selben Tag flog er die Route nochmals mit 28 Metern Überhöhung.
Insgesamt werfen ihm die Unfalluntersucher ein fürs Hochgebirge völlig falsches Flugverhalten vor. Dazu zählt auch, dass er kurz vor dem Unfall mit nur 63 Knoten flog – deutlich unter der Geschwindigkeit für bestes Steigen und in einem Bereich, der auch eine sichere Umkehrkurve erschwert hätte.
Untersuchungsbehörde: Ungeeignete und risikoreiche Flugtaktik des Piloten
Die Schweizer Untersuchungsbehörde gibt als Unfallursache vor allem die ungeeignete und risikoreiche Flugtaktik des Piloten an. Direkt beigetragen habe auch die Entscheidung, in einer kritischen Flugphase die Steuerung einem fliegerisch nicht ausgebildeten Passagier zu überlassen. Schwere Vorwürfe erheben die Unfalluntersucher auch gegen die Organisatoren der Rundflüge. Sie hätten ein mangelndes Sicherheitsbewusstsein gezeigt. So wurde zugelassen, dass nicht als Fluglehrer qualifizierte Piloten ihren Passagieren die Flugzeugführung übergeben.
Die Verantwortung, die alle Beteiligten bei der Organisation von Rundflügen etwa bei Vereinsfesten ebenso wie bei normalen Passagierflügen haben, wird oft unterschätzt. Wenn sich Flugunerfahrene aus Interesse und Begeisterung für die Fliegerei in die Hände von Privatpiloten begeben, kann die Vorsicht nicht groß genug sein. Rundflugpiloten müssen sorgfältig und ohne Rücksicht auf persönliche Befindlichkeiten nach Qualifikation und Sicherheitsbewusstsein ausgewählt werden. Sinnvoll sind ausführliche Briefings und klare Vorgaben von Flugrouten und -höhen. Für Leichtsinn oder gar Angeberei ist kein Platz.
Thomas Borchert begann 1983 in Uetersen mit dem Segelfliegen. Es folgte eine Motorsegler-Lizenz und schließlich die PPL in den USA, die dann in Deutschland umgeschrieben wurde. 2006 kam die Instrumentenflugberechtigung hinzu. Der 1962 geborene Diplom-Physiker kam Anfang 2009 vom stern zum fliegermagazin. Er fliegt derzeit vor allem Chartermaschinen vom Typ Cirrus SR22T, am liebsten auf längeren Reisen und gerne auch in den USA.
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